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«Mir fehlt es an nichts»

Frugalisten leben extrem sparsam, um möglichst früh in Rente zu gehen

Die Lebenshaltungskosten steigen. Frugalist und Sparexperte Oliver Noelting schreckt das nicht. Wichtiger als beim Essen oder Tanken ein paar Euro zu sparen, sei es, sich bei jeder Geldausgabe zu fragen: Brauche ich das? Macht mich das glücklich?

Hannover (epd). Welches Internetportal bietet die billigste Reise? Welcher Supermarkt die attraktivsten Rabatte, welche Tankstelle das günstigste Benzin? Wer sparen will, stellt sich diese Fragen – gerade jetzt in wirtschaftlich schweren Zeiten. Oder nicht? Oliver Noelting lacht. Der 33-Jährige sitzt entspannt auf einem Baumstamm im hannoverschen Stadtwald Eilenriede in der Sonne. «Ich würde anders ansetzen», sagt er.

   Sein Spar-Tipp: Die Logik des Konsums grundsätzlich hinterfragen. Manche Menschen kauften «wie auf Autopilot» teure Reisen, Autos, Küchen, Fernseher, Handys in der Annahme, dass sich so ein glückliches Leben herstellen lasse, sagt der Softwareentwickler. «Ich dagegen glaube, dass es glücklich macht, Bequemlichkeit zu vermeiden, aktiv zu werden, Dinge selbst herzustellen, zu reparieren, Selbstwirksamkeit zu spüren.»

   Noelting ist Frugalist. Frugal bedeutet «einfach, maßvoll». Als Frugalisten bezeichnen sich Menschen, die genügsam leben und möglichst viel Einkommen zurücklegen, um früh in Rente zu gehen. Die Idee stammt aus den USA. Dort heißt das Prinzip «Fire» (Financial Independence, Retire Early / Finanzielle Unabhängigkeit, frühe Rente). «Fire» wurde in den 2010erJahren populär. Die Faustregel: Die Menschen sparen 30 bis 80 Prozent ihres Einkommens und legen es in klug gewählte Investments an, um sich bereits mit 40 oder 45 Jahren zur Ruhe zu setzen und von ihrem passiven Einkommen zu leben. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Sparquote in Deutschland lag 2020 dem Statistischen Bundesamt zufolge bei 16,3 Prozent.

   Noeltings Sparleidenschaft entbrannte 2013. Der drahtige Mann mit dem prägnanten schwarzen Dutt lebte damals in einer Studenten-WG in Bremen und fragte sich, wie sein Leben künftig aussehen sollte. 40 Jahre acht Stunden am Tag arbeiten? Attraktiv klang das in seinen Ohren nicht. Als er auf den Blog des kanadischen Finanzgurus «Mr. Money Mustache» und die Fire-Bewegung stieß, war es um ihn geschehen. Hellauf begeistert begann er zu sparen. Zu seinen besten Zeiten lebte er von 750 Euro im Monat und erreichte damit eine Sparquote von mehr
als 60 Prozent.

   Diese Zeiten sind seit ein paar Jahren vorbei. Noelting, der heute 24 Stunden pro Woche fest angestellt und nebenbei freiberuflich tätig ist, hat inzwischen eine dreijährige Tochter, das zweite Kind ist auf dem Weg. Eine größere Wohnung musste her, ein Krippenplatz, das Leben ist teurer geworden. Doch der Frugalist spart eisern weiter. 2021 habe er von seinen monatlich zur Verfügung stehenden 2.300 Euro netto
nur rund 1.050 Euro monatlich ausgegeben, erzählt er. Das gesparte Geld fließt zu 20 Prozent auf ein Tagesgeldkonto und zu 80 Prozent in Investmentfonds, sogenannte ETFs. Insgesamt hat Noelting in neun Jahren 200.000 Euro gespart.

   Sein Prinzip: «Wenn ich ein Bedürfnis oder Problem habe, frage ich nicht, wie die käufliche Lösung aussieht, sondern lese mich ein und probiere alles erst mal selbst.» Noelting hat sich Aktienwissen angeeignet, er kocht Marmelade aus am Wegesrand gepflückten Brombeeren, siedet seine Seife selbst und kauft Möbel grundsätzlich gebraucht.

   Als er eine neue Brille braucht, recherchiert er so lange, bis auch sein Optiker überzeugt war, dass vernünftige Gläser kein Vermögen kosten müssen. Seine Küche hat Noelting günstig gekauft und selbst aufgebaut. Kostenpunkt: 1.000 Euro, inklusive Geschirrspüler. Den gab es geschenkt. Das Spülergebnis sei schlecht, hatte der Inserent geschrieben. Noelting entfernte eine Nuss in einer Leitung – und das Geschirr glänzte.

   Für alle, die sparen wollen, hat Noelting einen Tipp. «Unbedingt Haushaltsbuch führen», sagt er. Das sei eine «Achtsamkeitsübung für Finanzen». Jede Ausgabe werde reflektiert und man könne eine Haltung zu der Frage entwickeln: War es das wert? Oder nur verschwendetes Geld? Unvernünftig sein, findet der IT-Profi, gehöre im Leben bei aller Sparsamkeit auch dazu. «Ich bin mal mit Freunden in der Kneipe versackt, das war teuer, aber das war es mir wert.»

   Auch Prioritäten änderten sich im Laufe der Zeit. Ob er die Rente mit 40 oder 45 Jahren wirklich erreicht? Noelting zuckt mit den Schultern. Zurzeit sei es ihm wichtig, viel Zeit mit seiner Tochter zu verbringen. «Das bedeutet natürlich weniger Verdienst.»

   Jungen Leuten empfiehlt der Frugalist, sich stets zuerst den Arbeitsplatz und erst dann die Wohnung zu suchen. «Das machen viele leider umgekehrt, aber Pendeln geht ordentlich ins Geld», sagt er. Als Noelting mit seiner Lebensgefährtin nach Hannover kam, hat zuerst sie sich einen Job gesucht, dann er. «Als Softwareentwickler finde ich ja überall was.» Das Paar landete im Stadtteil List, also suchten sie sich hier auch Wohnung und Kitaplatz.

   Der Vorteil: «Wir erreichen alles zu Fuß oder mit dem Rad», sagt Noelting. Das sei gesund, umweltschonend, entspannend und natürlich spare es auch Geld – wesentlich mehr als es mit den zurzeit viel diskutierten Tankrabatte je möglich wäre.