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Ministerpräsident in West und Ost

Bis zuletzt hat sich Bernhard Vogel aus dem Ruhestand heraus immer wieder auf der politischen Bühne gemeldet. Nach seinem altersbedingten Rücktritt vom Amt des Thüringer Ministerpräsidenten im Jahre 2003 wurde er regelmäßig und gern zu gesellschaftspolitischen Fragen gehört. Er deutete die Politik seines politischen Weggefährten Helmut Kohl (1930-2017) oder analysierte das Zusammenwachsen von Ost und West im vierten Nachwende-Jahrzehnt ebenso wie den Zustand der CDU in Thüringen. Nun ist Vogel im Alter von 92 Jahren in Speyer gestorben.

Der 1932 in Göttingen geborene und in Gießen sowie München aufgewachsene Christdemokrat erarbeitete sich seine Expertise in Jahrzehnten politischen Wirkens. Dabei trieb er die Gründung zweier Universitäten erst in Trier/Kaiserslautern und später in Erfurt voran. Er galt als brillanter Rhetoriker und sprach dabei immer eine verständliche Sprache. Vogel galt als volksnah, zog gern auch über die kleinen Dörfer, wanderte mit den Thüringerinnen und Thüringern, die sich ihm anschließen wollten. Die CDU gewann unter seiner Führung in beiden Bundesländern absolute Mehrheiten. In der CDU war er so gut vernetzt, dass er nach der Parteispendenaffäre 2010 zeitweilig als Kandidat für den Bundesvorsitz im Gespräch war.

Dabei habe er nie Berufspolitiker werden wollen, sagte Vogel einmal. Zur Kandidatur für den Stadtrat von Heidelberg sei er 1963 von einem befreundeten Kfz-Mechaniker aufgefordert worden. Zur Bundestagskandidatur zwei Jahre später hätten ihn Betriebsräte ermuntert. Und als rheinland-pfälzischer Kultusminister habe ihn der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Helmut Kohl, 1967 dem damaligen Ministerpräsidenten Peter Altmeier (CDU) empfohlen. „Das erste Amt, das ich selbst angestrebt habe, war dann die Nachfolge Kohls als Ministerpräsident in der Mainzer Staatskanzlei“, betont Vogel. Nach dem Studium war er als Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft Heidelberg tätig.

Vogel wurde 1976 Ministerpräsident – und blieb es mit einer Unterbrechung von vier Jahren bis 2003. Zunächst in Rheinland-Pfalz und später in Thüringen, als Ersatz für den gescheiterten, ersten Nachwende-Regierungschef in Thüringen, Josef Duchac (CDU), gesucht wurde. Vogel professionalisierte den Thüringer Politikbetrieb, auch indem er politische Weggefährten nach Thüringen holte. Mit Dieter Althaus (CDU) baute er einen Nachfolger auf, an den Vogel aus Altersgründen Mitte 2003 selbstbestimmt übergab. Er selbst übernahm noch bis 2009 den Vorsitz der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Doch nicht alles in Thüringen ist ihm geglückt. So werden etwa die Vorkommnisse rund um die Rettung des CD-Werks in Suhl in der sogenannten Pilz-Afäre mit seinem Namen verbunden bleiben. Mit mehr als 120 Millionen Euro wollte seine Regierung mehrere Hundert Arbeitsplätze in dem Werk erhalten. Doch die Wahl der Mittel verstieß, wie Jahre später der Europäische Gerichtshof urteilte, gegen geltendes EU-Recht.

Und als die Staatsanwaltschaft Mühlhausen einige Jahre später den teuren Bankrott aufarbeitete, schickte es das Bundeskriminalamt mit einem Durchsuchungsbefehl in die Staatskanzlei. Doch die gab hierfür gesuchte Akten selbst dann nicht heraus, als sie wenige Minuten vor dem Eintreffen der Ermittler durch das Justizministerium über die bevorstehende Razzia informiert worden war. Diese Vorgänge blieben bis heute einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Vogel selbst bleibt trotzdem hochverehrt in der Bevölkerung und in der Partei ein geschätzter Ratgeber. So war es auch im Februar 2020, der die Thüringer CDU und ihre Landtagsfraktion in die bislang schwerste Krise ihrer Geschichte führte. Dass die AfD-Landtagsfraktion ihrem eigenen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten die Unterstützung entzog und stattdessen den FDP-Mann Thomas Kemmerich wählte, hatte auch der CDU-Ehrenvorsitzende Vogel während der entscheidenden Sitzung vor der Wahl nicht vorhergesehen.

Danach wurde es – auch aus gesundheitlichen Gründen – ruhiger geworden um den ehemaligen rheinland-pfälzischen und Thüringer Ministerpräsidenten. Er fühle sich beiden Bundesländern weiterhin verpflichtet, müsse aber nicht mehr jeden Termin wahrnehmen, sagte Vogel selbst einmal über seine letzten Jahre. Und: „Ministerpräsident i.R: kann man auch mit ‘in Rufbereitschaft’ übersetzen.“