Boxen ist für viele einfach stumpfe Gewalt. Ein Trainer und Mental-Coach aus Köln sieht das anders. Er nutzt den Kampfsport zur Persönlichkeitsschulung.
Der Boxclub von Martin Schneider erfüllt auf den ersten Blick alle Klischees. In der Mitte des schummrigen Kellers steht ein Boxring. Rings herum hängen Reihen von Boxsäcken vor kalten Wänden aus Beton. In der Tiefgarage nebenan, über die man das “Guts & Glory” betritt, riecht es nach Motoröl und Autoreifen. Im Innern des Kölner Clubs nach Leder und Schweiß. Auch Schneider passt dem Anschein nach ins Bild: groß, Vollbart und Glatze, auffällig tätowiert. Klingt nach einem Paradies für ganze Kerle, die sich gerne prügeln. Doch so einfach ist es nicht. Denn für Schneider ist das Boxen keine stumpfe Gewalt. Als Mental-Coach nutzt er den Sport auch, um seinen Klienten bei Alltagsproblemen zu helfen.
“Als erstes lernt man, dass man nicht aus Zucker ist”, sagt Schneider. Vor allem gehe es aber um Selbsteffizienz. Der studierte Maschinenbau-Ingenieur verbindet in seinem Konzept Boxtraining mit Mental-Coaching. Der Sport biete zahlreiche Möglichkeiten, die Persönlichkeit zu stärken. “Da geht es um Zielsetzung, Fokus, das Verlassen der Komfortzone. Aber auch um Stressbewältigung.”
Obwohl Boxen manchmal einen gewaltlastigen Ruf habe, könne es auch bei ernsthaften psychologischen Problemen unterstützen, so Schneider. “Bei einer Depression hilft der Sport ganz klar. Auch wenn jemand zu wenig Selbstbewusstsein hat, ist Boxen hilfreich. Unter anderem, weil man sich Problemen stellen und sie überwinden muss.” Er versuche, seinen Klienten mentale Stärke zu vermitteln, die jeder im Alltag gebrauchen könne – unabhängig von Alter, Bildungsgrad oder Geschlecht. “Ich finde es immer cool, wenn die Leute merken: Das, was wir hier körperlich und emotional ausfechten, kann ich mit rausnehmen.”
Auch ihm selbst habe das Boxen in Krisenzeiten geholfen. Schon als junger Mann fing Schneider mit dem Sport an. Im Studium erkämpfte er unter anderem zwei Deutsche Hochschulmeisterschaften für die Technische Hochschule Köln. Dann kam der Berufseinstieg. “Irgendwann wurde das immer stressiger. Ein Großraumbüro, immer die gleichen Meetings und am Ende die dritte Magenspiegelung ohne Befund”, berichtet der heute 44-Jährige. Um aus diesem Alltag auszubrechen, machte Schneider sein Hobby zum Beruf und gründete 2013 seinen eigenen Boxclub.
Das Coaching sei dann fast von allein dazugekommen. “Manche Schüler denken sowieso, man hat als Boxtrainer die Antwort auf all ihre Lebensfragen”, sagt Schneider. Um ihnen professionelle Antworten zu geben, absolvierte er eine Ausbildung zum Persönlichkeitscoach an der Uni Köln. So hat er sich neben seinem Leben im “Guts & Glory” mit einem Coaching-Unternehmen ein zweites Standbein aufgebaut.
Schneiders Ansatz ist unter Kampfsportlern eine Seltenheit. Doch auch Psychologen, Ärzte und Lehrer haben das Potenzial des Boxens erkannt, sagt Peter Klug, Leiter der Sporttherapeutischen Akademie in Hannover. Dort werden in Zusammenarbeit mit der örtlichen medizinischen Hochschule Boxtherapeuten ausgebildet. “Therapeutisches Boxen ist einsetzbar zur Regulation verschiedener psychischer Phänomene, begleitet von einer Vielzahl verbesserter physischer Eigenschaften”, erklärt Klug. Neben Depressionen sei eine Anwendung etwa nützlich bei Suchterkrankungen, ADHS, Burnout oder auch körperlichen Leiden, etwa in Rücken oder Nacken. Die therapeutische Variante laufe dabei ohne Wettkämpfe oder körperlichen Vollkontakt im Training ab.
Schneider sagt, beim Mental-Coaching in seinem Club fasse man sich zwar nicht mit Samthandschuhen an. Doch der blutige Ruf des Sports gehe an der Realität vorbei. Kampfsportler sind nach Meinung des ehemaligen Türstehers ausgeglichener als andere Menschen. “Und die offene Augenbraue oder der schwere Knockout, die man aus dem Fernsehen kennt, gibt es im Training in aller Regel auch nicht.”