In Russland gibt es nach Ansicht der Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa derzeit keine nennenswerte politische Opposition mehr. Angst bestimme den Alltag vieler Menschen, sagte die Mitbegründerin der seit 2022 in Russland verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial am Dienstagabend bei einer Online-Diskussion. Im Land fänden sich noch vergleichsweise kleine, mutige Gruppen wie die 2011 gegründete OVD-Info mit Sitz in Moskau. Das Team von etwa 75 Personen dokumentiert politisch motivierte Festnahmen und Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Behörden. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vor zwei Jahren werden vor allem Einsätze gegen Friedensaktivisten registriert.
Die Arbeit zur Aufarbeitung der Gewaltherrschaft Josef Stalins sei für Memorial zu Beginn ihrer Arbeit auch unter Michail Gorbatschow und Boris Jelzin nicht einfach gewesen, sagte Scherbakowa bei dem digitalen Studientag der Evangelischen Akademien zur Friedensethik. Nachdem Wladimir Putin an die Macht gekommen sei, sei aber schon sehr bald klar geworden, „wohin die Reise geht“. Die Historikerin warf dem russischen Präsidenten vor, die Geschichte Russlands zu verklären und zu mystifizieren.