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Menschenrechtlerin befürchtet ethnische Säuberungen in Bergkarabach

Die Armenien-Expertin Tessa Hofmann befürchtet mit Blick auf die von Aserbaidschans Präsident Aliyev am Donnerstag angekündigte „Wiedereingliederung“ Bergkarabachs weitere erhebliche Menschenrechtsverstöße. „Schon beim ersten Angriff auf die Republik Arzach vor drei Jahren hatte Aliyev erklärt, man müsse die Armenier wie Hunde aus Bergkarabach verjagen“, sagte die Armenien-Koordinatorin der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Diese entmenschlichende Sprache verheißt nichts Gutes und lässt ethnische Säuberungen befürchten“.

Am Dienstag hatte Aserbaidschan die international nicht anerkannte Republik in der Bergregion erneut angegriffen. Nach einer am Dienstag verkündigten Waffenruhe erklärte der aserbaidschanische Präsident am Donnerstag, das Gebiet komplett unter seine Kontrolle gebracht zu haben. Schon jetzt seien die Überlebenschancen der Einwohner Bergkarabachs infolge der neunmonatigen Hungerblockade Aserbaidschans stark vermindert, gab Hofmann zu bedenken. Menschenrechtsbeauftragte aus Arzach und Armenien berichteten zudem, dass seit dem jüngsten Angriff eine größere Zahl von Menschen vermisst werde.

Die Weltgemeinschaft und die Bundesregierung dürften den Umgang Aserbaidschans mit den rund 120.000 Armeniern in der Region nicht hinnehmen, betonte Hofmann. Eine Reaktion könnten Sanktionen gegen den Präsidenten sowie den Leiter der aserbaidschanischen Erdölgesellschaft Socar sein. Zudem müssten internationale, unabhängige Delegationen der UN von Menschenrechtsorganisationen bisherige Menschenrechtsverstöße dokumentieren. „Wenn ein friedliches Zusammenleben von Armeniern und Aserbaidschanern überhaupt möglich sein soll, wäre das eine notwendige Bedingung.“ Eine Umfrage in Baku indes dämpfe diese Hoffnung: Demnach können sich nur 28 Prozent der Aserbaidschaner ein friedliches Miteinander vorstellen.

Der Internationale Strafgerichtshof müsse zudem prüfen, ob Aserbaidschan für seinen Umgang mit der armenischen Minderheit völkerrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden kann, forderte Hofmann und verwies auf die Einschätzung des ehemaligen Chefanklägers des Gerichts, Luis Moreno Ocampo. Dieser hatte im August die Hungerblockade gegen Bergkarabach einen „laufenden Genozid“ genannt.

In der Bergregion seien zwei Völkerrechtsprinzipien im Konflikt – das der Selbstbestimmung und das der territorialen Integrität, erläuterte Hofmann. Namhafte Völkerrechtler erachteten das Selbstbestimmungsrecht jedoch als höherrangig. Auch historisch spreche einiges für das Eigenrecht der Republik Arzach. Erst mehrere Woche nach deren Gründung im Jahr 1991 habe sich Aserbaidschan ebenfalls von der Sowjetunion losgesagt und eine neue Republik gegründet. „De facto und de jure war Arzach zu diesem Zeitpunkt schon eigenständig.“