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Meister der Melancholie

Der norwegische Maler Edvard Munch (1863-1944) schockierte und begeisterte sein Publikum mit seinen melancholischen farbintensiven Gemälden, in denen er menschliche Seelenzustände zum Ausdruck brachte. „Der Kuß“ heißt ein düsteres Gemälde von 1897: Zwei Menschen stehen eng umschlungen am Fenster, die Gesichter aneinandergepresst. Die Farben sind dunkel, nur an einer Ecke des Fensters gibt der Vorhang den Blick auf die beleuchtete Straße frei.

In „Auge in Auge“ hält sich ein Paar an den Händen, den Blick fest auf das Gegenüber gerichtet. Das Gesicht des Mannes leuchtet gespenstisch hell vor dunklem Hintergrund, die Frau mit ihren blonden Haarsträhnen strahlt Wärme aus. Noch stärker wirken die Kontraste in „Rot und Weiß“: Eine Frau in weißem Gewand schaut aufs Wasser, eine zweite in leuchtend rotem Kleid steht vor ihr, der Gesichtsausdruck wirkt verschlossen. Sie spiegeln das Menschsein und den Konflikt der Geschlechter.

Es sind Schlüsselwerke des Malers aus seinem Hauptwerk, dem „Lebensfries“, die im Mittelpunkt der Sonderausstellung „Edvard Munch. Zauber den Nordens“ in der Berlinischen Galerie stehen. Die Ausstellung ist ab Freitag zu sehen und wird bis zum 22. Januar gezeigt.

„Es ist für Berlin ein wichtiges Thema, weil er hoffte, so auf mehr Verständnis zu stoßen“, betont Kuratorin Stefanie Heckmann, die sich über die großzügigen Leihgaben aus dem Munchmuseet in Oslo freut. Mit rund 80 Arbeiten von Edvard Munch, ergänzt durch Bilder weiterer in der Kunstszene an der Spree tonangebender Künstler der Zeit, geht die Ausstellung der Entwicklung des Malers nach, dem Licht und den intensiven Farben seiner Bilder sowie den Themen, die seine Werke bis heute relevant machen.

Zwischen 1892 und 1908 war Berlin für Edvard Munch immer wieder Lebens- und Arbeitsort. Hier traf er auf eine Begeisterung für den Norden und intellektuell wie künstlerisch Gleichgesinnte, und hier erlebte seinen künstlerischen Durchbruch. „Für uns beginnt mit Edvard Munch die Moderne“, sagt Kuratorin Stefanie Heckmann: „Wir wollten die Anfänge ausforschen und aus Berliner Perspektive auf diesen Künstler schauen.“

In fünf thematisch gegliederten Räumen schlägt die Ausstellung den Bogen von dem ersten Auftritt des Norwegers mit seiner Kunst an der Spree, der zum Skandal geriet und als „Affaire Munch“ in die Kunstgeschichte eingegangen ist, bis zur großen Retrospektive, mit der die Nationalgalerie Berlin 1927 den Maler würdigte. In der NS-Zeit wurden seine Bilder ab 1933 zwar zunächst als „nordisch“ ideologisch instrumentalisiert, dann aber als „entartet“ eingestuft und aus den Museen entfernt.

Die radikale Modernität von Munchs Malweise und seine intensiven Farben hatten das Berliner Publikum zunächst schockiert. Munch begann deshalb, Einzelbilder thematisch und motivisch zu ordnen. 1902 konnte er den „Lebensfries“ mit 22 Bildern bei der Berliner Secession zeigen und band erstmals das Thema Tod mit ein. Davon sind in der Ausstellung zwei Beispiele zu sehen, „Der Tod und der Frühling“ von 1893 und „Leichenwagen auf dem Potsdamer Platz“, entstanden zur Jahrhundertwende.

In Berlin entdeckte Munch auch die Druckgrafik, der in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet ist. Die Lithografie „Das kranke Kind“ von 1894, in der er sich mit dem Tod der Schwester auseinandersetzt, belegt seinen virtuosen Umgang mit der neuen Technik. Sie zeigt ein Mädchen, vom Fieber gezeichnet, den Kopf zum Fenster gedreht, das einfallende Licht kündigt die Transzendenz in den Tod an.

Mit seiner psychologisch subtilen Malkunst schuf Munch zudem beeindruckende Porträts seiner Zeitgenossen. Darunter sind Persönlichkeiten der Berliner Bohème-Szene, mit denen er im Weinlokal „Zum Schwarzen Ferkel“ verkehrte, darunter der Dramatiker August Strindberg und der polnische Autor Stanislaw Przybyszweski, ein früher Bewunderer von Munchs Kunst. Eine wichtige Ergänzung ist das Medium Fotografie, das der Künstler ab 1902 mit dem Kauf einer Kamera für sich nutzte, um Motivszenen und Ausstellungen zu dokumentieren, aber auch um sich selbst zu inszenieren.

Die Ausstellung der Berlinischen Galerie ist Auftakt zu einem Munch-Schwerpunkt in der Region im Herbst. Ab November wird im Potsdamer Barberini-Museum eine weitere Munch-Ausstellung gezeigt. Schwerpunkt sind dort seine Naturbilder.