Die Förderung der Herkunftssprachen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund muss in Bayern nach Ansicht des Sprachwissenschaftlers Marco Triulzi dringend wieder Aufgabe der Schulen werden. „Mehrsprachigkeit muss in den Schulalltag integriert werden“, sagte Triulzi, der seit Oktober 2024 die Internationale Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München koordiniert. Seit der Abschaffung des staatlichen muttersprachlichen Unterrichts an Schulen in Bayern 2009 wird herkunftssprachlicher Unterricht von den Konsulaten einiger Länder sowie von privaten, kommunalen und ehrenamtlichen Initiativen verschiedener Communities angeboten.
Das deutsche Schulsystem sei sehr einsprachig geprägt, kritisierte Triulzi. Natürlich müssten Kinder dabei unterstützt werden, Deutsch zu lernen. Aber dass es dem Deutschlernen schade, wenn die Kinder zuhause eine andere Sprache sprechen, sei ein Mythos: „Familien haben deshalb teilweise Angst, ihre Herkunftssprache an die Kinder weiterzugeben.“
Aus wissenschaftlicher Perspektive gebe es keine Beweise dafür, dass Mehrsprachigkeit schlecht sei, sagte Triulzi. Im Gegenteil: „Studien belegen, dass Mehrsprachigkeit die kognitive Flexibilität und Problemlösungsfähigkeit von Menschen fördert.“ Wer als Kind mehrere Sprachen lerne, verstehe die Strukturen von Sprachen insgesamt besser und könne oft schneller lesen und schreiben und später auch noch weitere Fremdsprachen lernen. Mehrsprachigkeit könne außerdem die Kreativität fördern. Die Forschungsergebnisse vieler Universitäten, auch aus Bayern, fänden in der politischen Debatte zu diesem Thema kaum Beachtung, sagte der Sprachwissenschaftler.
Um Eltern zu unterstützen und den Spracherwerb konsequent und kontinuierlich zu fördern, seien die Bildungsinstitutionen gefragt, sagte Triulzi. Dafür brauche es unter anderem gut ausgebildete mehrsprachige Erzieher und Lehrerinnen. In anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, sei der muttersprachliche Unterricht staatlich organisiert mit Lehrplänen, Prüfungen, Fortbildungen für Lehrkräfte und einer Qualitätssicherung, sagte Triulzi: „Das ist eine ganz andere Nummer.“
Wenn eigentlich zweisprachige Menschen nicht zweisprachig aufwachsen, werde auch wirtschaftlich ein großes Potenzial verschenkt, betonte der Sprachwissenschaftler. Kompetente mehrsprachige Fachkräfte seien auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt, etwa für internationale Teams in der Industrie, aber auch im Gesundheitswesen für eine bessere Kommunikation mit Patienten oder auch im Einzelhandel. Gefragt seien hier nicht nur Englisch, Französisch oder Spanisch, sondern auch Migrationssprachen wie Russisch, Türkisch, Arabisch oder Rumänisch. „Deutschland ist ein Einwanderungsland: In München hat fast die Hälfte der Menschen einen Migrationshintergrund“, sagte Triulzi. (0574/17.02.2025)