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Medizinerin veröffentlicht berührenden Roman über Sterben in Würde

“Friends forever”, versprechen viele einander. Helena und Marlena bleiben tatsächlich bis zum letzten Atemzug verbunden – und erleben existenzielle Grenzen, Angst und Hoffnung. Was sich von den Romanfiguren lernen lässt.

Es sind Figuren, die einen so schnell nicht loslassen. Legt man das Buch aus der Hand, fragt man sich, wie es wohl mit ihnen weitergeht, und ist die Lektüre abgeschlossen, klingen einem manche ihrer Sätze nach. Die quirlige Marlene mit ihren amerikanischen Einsprengseln; die reflektierte Helena mit ihren Selbstzweifeln – und die Höhen und Tiefen ihrer Freundschaft. Von diesen beiden Figuren lebt der neue Roman von Lou Bihl – und von ihrer berührenden Geschichte, die trotz schwieriger Momente nie den Leser oder die Leserin herunterzieht.

“Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben” – dieser Titel ist Programm. Was ein Leben – ein gutes, gelingendes Leben – sonst noch ausmacht, darum ringen die Figuren: Helena als Palliativmedizinerin sowieso. Noch näher rückt ihnen die Frage, als Marlenes Zwillingsschwester schwer erkrankt und nur einen Ausweg für sich sieht: den assistierten Suizid in der Schweiz.

Wie schwer eine solche Entscheidung fällt, welche Konflikte und welchen Schmerz sie mit sich bringt, das spart das Buch keineswegs aus. Für die Autorin, die selbst Onkologin ist, steht indes fest, dass zu einem erfüllten Leben das Recht gehöre, “selbstbestimmt zu sterben, wenn man – beispielsweise durch eine Krankheit – so sehr leidet, dass man es unerträglich findet”. Eine umstrittene Haltung – doch allein zu wissen, dass es Möglichkeiten für assistierten Suizid gebe, könne Leid bereits lindern, betont sie im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Der früheren Chefärztin ist es ein Anliegen, über das komplexe Thema aufzuklären – denn sie beobachtet viele Missverständnisse in der öffentlichen Debatte. So werde Suizidassistenz oft mit Sterbehilfe verwechselt: “Passive Sterbehilfe bedeutet das Unterlassen von lebensverlängernden Maßnahmen, zum Beispiel das Abstellen von Beatmungsgeräten”, erklärt sie. Aktive Sterbehilfe beschreibt, dass der Arzt aktiv zum Tod beiträgt, also dem Patienten etwa ein Mittel spritzt, das das Leben beendet. Letzteres ist nach wie vor strafbar, nur die Suizidassistenz nicht. Ein Arzt darf einem Patienten die entsprechenden Mittel besorgen, er muss sie aber selbst zu sich nehmen.”

Bihl scheut kontrovers diskutierte Themen nicht, hat zuvor Romane über eine Pandemie und über Geschlechtsangleichungen veröffentlicht. Ebenso findet sie es nach eigenen Worten wichtig, dass über assistierten Suizid diskutiert wird – und dass in die bestehenden Regelungen mehr Klarheit kommt.

2015 hatte der Bundestag ein Gesetz beschlossen, das kommerzielle und auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe untersagte. Im Februar 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz – und formulierte ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben. Während Teile der evangelischen Kirche signalisieren, sie könnten der Entwicklung durchaus etwas abgewinnen, bleiben Vertreter der katholischen Kirche weithin bei ihrem Nein zum Suizid.

Im Frühjahr 2020 kam Corona; die Debatte um Suizidassistenz trat in den Hintergrund. So sei bis heute das Medikament, das in vielen Ländern zu diesem Zweck genutzt wird, hierzulande nicht zugelassen, kritisiert Bihl. “Auch die Dauerhaftigkeit eines Sterbewunsches, die als Voraussetzung für eine Suizidassistenz gilt, ist nicht definiert. Österreich hat sich festgelegt: mindestens zwölf Wochen. In Deutschland muss ein Arzt entscheiden, ob der Sterbewunsch lange genug besteht.”

Über diese gesellschaftliche Lage diskutieren Bihls Figuren, aber sie schauen auch Fußball, feiern Weihnachten, begleiten einander im Aufwachsen und im Abschied. Sie sei happy, wenn Menschen ihr Buch in die Hand nähmen und feststellten, dass sie das Thema Tod und Sterben so noch nicht betrachtet hätten, sagt die Schriftstellerin: Denn darin, die eigene Endlichkeit nicht auszublenden, liege eine große Chance. Beispielhaft nennt sie die Frage, “worüber man sich ärgert – über Kleinigkeiten oder nur über entscheidende Dinge. Das lernen Menschen oft erst, wenn sie wissen, dass es bald zu Ende geht.” Das Ziel sei letztlich, das Leben so zu gestalten, “als wäre es eben nicht unbegrenzt”.