Am Anfang suchte sich der Mensch eine Höhle. Später stellte er ein Zelt auf. Dann kam die Hütte. Und schließlich baute er sich ein Haus aus Stein.
Wenn sich der Mensch schützen will, spielen Mauern eine entscheidende Rolle. Wind und Regen sollen draußen bleiben. Aber auch wilde Tiere. Und der Feind. Stadtmauern und Grenzwälle legen davon Zeugnis ab.
Mauern sind Grenzen. Sie teilen ein: Davor – dahinter. Wir –die anderen. Mauern definieren. In diesem Wort steckt das lateinische „finis“, Grenze. Wer definiert, grenzt die Wirklichkeit immer weiter ein, bis am Ende ein klarer und eindeutiger Begriff steht: die Definition. So ist es auch bei Mauern. Sie schützen nicht nur, sie helfen auch, durch Abgrenzung die Welt einzuteilen, Identität zu schaffen; eine Vorstellung davon, wer, wo und was wir sind: Das dort ist der Bauernhof Grünfeld. Die Stadt Saarbrücken. Oder das Land Dänemark.
Mauern sind notwendig. Und gefährlich. Denn sie engen auch ein. Verhindern. Die DDR war ein Paradebeispiel dafür. Oder Nord- und Südkorea. In dem Glauben, sich vor dem Anderen schützen zu müssen, sperrt man sich selbst ein – und damit auch Wünsche, Sehnsüchte, die Chance auf Weiterentwicklung.
Mauern in Herzen und Köpfen können Menschen blockieren. Wenn in diesen Tagen an Universitäten Ideologen Vorlesungen stürmen. Wenn in Deutschland 81 Jahre nach der Reichspogromnacht noch immer bis zu 25 Prozent der Bevölkerung für antisemitische Gedanken anfällig sind. Wenn Flüchtlinge als Schmarotzer angesehen werden. Aber auch, wenn jeder Versuch, über ein Einwanderungsgesetz zu diskutieren, von vornherein niedergeschrieen wird. Dann schützen Mauern nicht mehr; sie verhindern ein gutes Leben.
Noch einmal: Mauern sind notwendig. Im übertragenen Sinn – weil sie uns helfen zu verstehen, wer wir sind. Und ganz handfest: Man denke nur an eine Quarantäne-Station im Krankenhaus oder an die Deiche, die das Land vor der Sturmflut schützen.
Aber Mauern sind immer auch ein Zeichen der Angst. Und Angst ist auf Dauer keine gesunde Lebensgrundlage.
Was also tun? Es wird nicht funktionieren, gleich alle Mauern einreißen zu wollen. Aber: mal etwas wagen. Auf die Mauer emporklettern. Mal hinüberschauen. Oder auch mal eine Stippvisite auf die andere Seite machen – das kann ein guter Anfang sein.
Davon erzählt Harald Bretschneider. Der ehemalige sächsische Landesjugendpfarrer und Begründer der Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ hat mitgewirkt, eine Mauer zum Einsturz zu bringen. Sein Fazit: Es war vieles, was vor 30 Jahren die DDR-Mauer niederriss. Aber nichts wäre passiert ohne dieses Eine: Dialog. Aufeinander zugehen. Miteinander reden.