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Maskerade

UK 6/2017, Rechtspopulismus (Seite 4: „Kirchentag lädt AfD-Politikerin ein“; Seite 5: Kommentar „Widersteht!“; Seite 6: „Wann, wo, wie und mit wem?“)
UK – Die Zeitung mit der guten Nachricht, druckt in der Ausgabe vom 5. Februar eine schlechte Nachricht ab. Die Bundessprecherin der „Christen in der AfD" (ChrAfD), Anette Schultner, wird an einer Podiumsdiskussion auf dem Evangelischen Kirchentag teilnehmen. Ich stimme der Aufforderung des Kommentars in derselben Ausgabe von UK von ganzem Herzen zu: „Widersteht!"
Zugegeben, das, was die AfD-Funktionärin A. Schultner (ehemals CDU-Mitglied) veröffentlicht, ist politisch harmlos – rückwärtsgewandt mit einer konservativen Vorstellung von Familie, der strikten Ablehnung von Schwangerschaftsabbruch und ihrer unzeitgemäßen Homophobie. Darüber lässt sich trefflich diskutieren auch auf einem Kirchentag. Muss man dazu aber eine AfD-Funktionärin einladen? Sie erfülle – so gibt die Kirchentagssprecherin zu verstehen – die Bedingungen für Gäste auf Kirchentagspodien; denn sie äußert sich nicht rassistisch und ist auch nicht bekannt für Äußerungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Auch im UK-Bericht über das Treffen in Villigst, wo über den Umgang mit den Rechtspopulisten diskutiert wurde, wird deutlich, wohin es führt, wenn man unterscheiden möchte zwischen AfD-Leuten, die sich fremdenfeindlich-rassistisch äußern und solchen, die das nicht tun. Man könne selbst Frauke
Petry einladen, sie würde eine Diskussion ja nicht als Siegerin verlasssen müssen, schlug ein Referent vor. Aber reichen die in der Öffentlichkeit bekannten rassistischen und fremdenfeindlichen Parolen von anderen AfD-Mitgliedern nicht aus, um Funktionärinnen und Funktionäre der AfD den Zugang zu Kirchentagspodien zu verwehren?
Das wurde die Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au unlängst in einem Interview gefragt (www.domradio.de). Sie antwortete: „Wir nehmen niemanden in Sippenhaft.“ Auf eine solche Unterscheidung von radikalen Rabauken und den Vernünftigen innerhalb einer Partei  sind unsere Väter und Mütter 1933 hereingefallen. Eine Partei wie die AfD ist doch kein Familienverband, in dem es auch schwarze Schafe geben mag.Sondern ihre Parteifunktionärinnen und -funktionäre repräsentieren die Inhalte ihres Parteiprogramms und dessen (Un)-Geist. Sie sind verantwortlich zum Beispiel für Pöbeleien gegen Gottesdienstbesucherinnen und -besucher in Dresden am 3. Oktober 2016, sie sind verantwortlich und haftbar zu machen dafür, dass Leute wie Björn Höcke nationalsozialistische Parolen verbreiten und das Holocaustdenkmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnen.
Und selbst wenn sich die harmlose Partei-Gruppierung „Christen in der AfD“ vorsichtig distanzieren – an ihnen haftet die völkisch-nationale Ideologie ihrer Partei. Parteistrategisch werden sie benutzt, um die AfD als eine für Christen wählbare bürgerliche Alternative hoffähig zu machen. Die verantwortlichen Kirchentagsleute scheinen nicht sehen zu wollen, wer sich hinter der Maskerade „Christen in der AfD“ verbirgt. Und irgendwann wundert man sich wieder, welche Ungeister diesem Trojanischen Pferd entsteigen. Wie schlimm steht es um unsere Kirche, dass sie sich wieder einmal anbiedert an die Rechtsnationalen? Nur dieses Mal gilt die Entschuldigung nicht, man habe es ja nicht wissen können.

Hartmut Grajetzky, Bochum