Mediale Verarbeitungen von Ostdeutschland entscheiden sich entweder für eine Geschichte der Abgehängten oder die kitschige Verklärung von Wärme. Die Serie “Marzahn mon Amour” navigiert geschickt durch dieses verminte Gelände und macht Lust auf mehr.
Kann man das eine Karriere nennen? Katharina “Kathi” Grabowski ist Buchautorin. Die Aufträge vom Verlag bleiben aus, also muss sie umschulen. Sie wird Fußpflegerin und fängt in der “Beauty Oase Marzahn” an. Der Mann hat sich verabschiedet, Tochter Lilly (Maja Bons) geht auf Distanz. Es kommt dicke für Kathi.
Aufgeschrieben hat das Katja Oskamp in ihrem fiktionalen Bestseller “Marzahn, mon Amour”. Die ARD hat daraus eine sechsteilige Serie gemacht (ab 14. März in der ARD Mediathek, ab 21. März im Ersten). Leona Stuhlmann, Niklas Hoffmann und Antonia Rothe-Liermann haben die Drehbücher geschrieben, Clara Zoë My-Linh von Arnim (“Die Zweiflers”) hat inszeniert, keine Geringere als Jördis Triebel die Hauptrolle übernommen.
Kann da was schiefgehen? Aber sicher. Wer den Ost-Berliner Stadtteil Marzahn (slawisch für “Sumpfgebiet”) in Szene setzt, der muss höllisch aufpassen, dass er nicht von einem ins andere Extrem fällt: einmal ist Marzahn dann gern das Musterbiotop der Abgehängten, auf der anderen Seite aber gleichzeitig die verkitschte Wärmestube der allerkleinsten Leute.
“Marzahn, mon Amour” passiert weder das eine noch das andere. Die Serie geht ohne Umwege auf die Menschen zu. Wer in die “Beauty Oase Marzahn” zum Hornhautraspeln und zum Nägel verschönern kommt, der bringt seine Geschichte, sein Schicksal mit. Das Leben der Mittvierzigerin Kathi wird in dieser Umgebung wortwörtlich vom Kopf auf die Füße gestellt.
Die Serie hat ein Innen und ein Außen. In das Auf und Ab der Beziehung zwischen Kathi Grabowski, Chefin Jenny Chaan (Yvonne Yung Hee Bormann) und Lulu Moll (Deborah Kaufmann) sind in die rund 24 Minuten jeder Folge die jeweiligen Behandlungen der Kundinnen und Kunden von Kathi eingebaut. Da ist der ehemalige Nachbar, Herr Schminke (Hermann Beyer), der in Stasi-Manier auftritt. Oder die im Dauerkonflikt mit ihrer Mutter (Monika Lennartz) gefangene Doris Nocke (Katrin Heller). Kathi Grabowski hört zu, unterhält sich, fragt nach, tritt aber nicht als Samariterin auf, die Probleme, Konflikte, Verbocktes wundersam während nur einer Pediküre heilt.
“Marzahn, mon Amour” ist insbesondere im Salon-Team echtes Mitmenschen-Theater. Als Chefin Jenny vermutet, dass Lulu ihren eigenen Laden eröffnen will, setzt sie diese vor die Tür. Und dann geht Tochter Lilly für einen Work-and-Travel-Aufenthalt nach Australien, was Kathi endgültig vor die Frage stellt: “Wie weiter?”
Die Produktion achtet schon bei der Besetzung sehr darauf, dass ein Ensemble gecastet wurde, das mit Ost-Berlinischem verwoben ist, quasi Ortskenntnisse mitbringt. Vorneweg Jördis Triebel, die in der famosen Darstellung der Kathi Grabowski die Marzahner Mischung der verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohnern auffängt und der Serie den besonderen Wert gibt. Hier agieren Mitmenschen in einem Kiez, von dem Lulu sagt: “Marzahn ist nicht grau, sondern ehrlich.” Und manchmal (eher unfreiwillig) komisch.
Der Makrokosmos der “Platte”, in der der sozialistische Fortschrittsglaube in brutalistischen Beton gegossen wurde, wird in den Mikrokosmos des Beauty-Salon übersetzt. Ein Kammerspiel entfaltet sich, wo jede Geste, alle Mimik, das Besondere des Dialogs sitzen müssen. Regisseurin Clara Zoë My-Linh von Arnim zeigt, was sie schon bei den “Zweiflers” gezeigt hat: Sie macht die Atmosphäre fein, das Harte verheiratet sich mit dem Zarten, das Vielschichtige in jeder Biografie wird offenbar, und Melancholie ist dabei nicht ausgeschlossen.
Die ARD-Produktion ist auf lokalkoloristische Glaubwürdigkeit aus. Die Kamera von Falko Lachmund sucht große Nähe zu den Akteuren, der Cast überzeugt individuell wie in der Gesamtheit. Jördis Triebel zieht ihre Kathi Grabowski durch die vielen Untiefen und wenigen Höhepunkte ihres Daseins, und zwar in so nahbarer Weise, dass ihr gewünscht wird, das Glück möge ihr sogleich hold sein. Aber erst einmal steht die weitere Kurssetzung im eigenen Lebensweg an.