Zwei Uhr nachts. Während die letzten Nachtschwärmer noch in den Mai hineintanzen, dringt auch aus der Christuskirche in Hannover beim Kirchentag noch Musik. Getanzt wird hier zwar nicht. Aber gesungen. „Das war schon ganz fantastisch von Euch – aber mir fehlt noch die Impression“, ruft Marco Knichala ins Mikrofon. Zusammen mit Pastor Martin Funke (Klavier) macht er sich auf eine musikalische Reise von Dietrich Bonhoeffer zu Bosse, Psalmen zu Heinz Rudolf Kunze. Trotz Müdigkeit, trotz später Stunde – die Freude am gemeinsamen Singen ist spürbar. Auch wenn dem einen oder anderen der Kopf auf die Brust sackt. Immer wieder kommen neue Menschen in die Christuskirche. Andere gehen.
74 Stunden nonstop wollen sie hier singen, keine Pause, keine ruhige Minute.
Seit mehr als 13 Stunden wird gesungen beim Sing-Marathon in der Christuskirche von Hannover. Und kein Ende in Sicht. #Kirchentag pic.twitter.com/rf5QNzmxAv
— Evangelische Zeitung (@Evangelische) May 1, 2025
„Wir dachten, dass wir hier alleine spielen“, werden die beiden Pastoren später verraten. Doch sie wurden überrascht: „Das waren so 25 Menschen ungefähr. Das ist gar nicht so schlecht, wie ein kleiner Kirchenchor.“ Und das Beste: „Die haben ganz schön mitgemacht und super mitgesungen“, ergänzt Marco Knichala.
74 Stunden Singmarathon: Energie zu jeder Tageszeit
Einer von ihnen ist Dominik Stegmüller aus Crailsheim. „Ich will unbedingt zum Taizé um 4 Uhr“, erklärt er. Die Bahnen zu seiner Unterkunft seien nicht mehr gefahren. Und schließlich wolle er auch niemanden wecken. Er wirkt aufgekratzt. „Ich mache einfach durch. Wann habe ich schon mal die Möglichkeit, die ganze Nacht durchzusingen?“, fragt er. Er erzählt von seinen Taizé-Aufenthalten. Der Stimmung dort. Die Verbindung zu den Menschen. Marian Neumann aus Cottbus gesellt sich dazu. Auch er war schon in Taizé. Auch er ist seit Stunden dabei – wenn auch nicht nur aus Freude am nächtlichen Singen. „Ich habe keine Unterkunft bekommen und werde die nächsten Nächte einfach durchsingen.“
Singen, das gibt Energie, das weiß auch der Popkantor. „Was das mit einem macht, laut und stark und lange und fröhlich zu singen – das darf man nicht unterschätzen.“ Mitmachen auf dem Kirchentag in Hannover war für Marco Knichala eine Herzensangelegenheit und für Martin Funke eine tolle Chance. „Ich war auf so vielen Kirchentagen und habe immer nur empfangen. Jetzt war es Zeit, auch mal etwas zurückzugeben“, erklärt der Pastor, der gern Klavier spielt.
Singen ist Hoffnung und Gemeinschaft
„Singen macht einfach Spaß. Und das hier war eine tolle Chance, mit anderen gemeinsam Musik zu machen.“ Doch das Singen berührt nicht nur emotional, es hat für manche auch spirituelle Tiefe, erklärt Funke. „Ich finde da eine tolle Art, Gott zu spüren.“ Er sei im Gesang, in den Tönen. „Das ist ein fantastisches Kribbeln.“
Wenn Mitternacht längst vorbei ist und Stimmen durch die dunkle Kirche klingen, dann zeigt sich: Singen verbindet. Und es schenkt – gerade auf einem Kirchentag – Hoffnung, Gemeinschaft und ein starkes Gefühl von Freude. Mitten in der Nacht – und voller Energie.

Acht Stunden später. Die Christuskirche ist inzwischen brechend voll. Kein Platz mehr. Vor dem Eingang bildet sich bereits eine Schlange. „Schritt, Schritt und immer wieder Schritt – Gott geht mit“, gebärden drinnen 360 Paar Hände. „Mehr passen nicht in die Kirche“, sagt Objektleiterin Caro. Doch abweisen musste sie noch niemanden. Denn nach einer Stunde wechseln nicht nur die Musiker, sondern mit ihnen auch das Publikum. Auch wer eine weitere Stunde mitsingen möchte, muss das Gotteshaus verlassen, kann aber durch den Eingang sofort wieder rein.