Artikel teilen:

Machtjongleur mit Pickelhaube

Otto von Bismarck wird am 14. Juni 1867 erstmals zum Kanzler ernannt. Nach seinem Tod wurde er bald zum Mythos. In den ihm zu Ehren errichteten Denkmälern wurde er als martialischer Recke verklärt

Sein Herz schlug preußisch, doch schuf er ein neues Deutschland, in dem das alte Preußen fast unterging. Er war ein beinharter Konservativer, doch seine Politik erwies sich als revolutionär. Vor 150 Jahren, am 14. Juni 1867, wurde der später als „Eiserner Kanzler“ gefeierte Otto von Bismarck (1815-1898) von König Wilhelm von Preußen erstmals zum Kanzler ernannt – und zwar zum Bundeskanzler des gerade entstehenden Norddeutschen Bundes. Reichskanzler des Deutschen Reiches wurde Bismarck dann 1871 und blieb es bis 1890.

1866: Gründung des Norddeutschen Bundes

Vorausgegangen war der deutsche Bruderkrieg: 1866 besiegte Preußen Österreich und drängte damit die größte katholische Macht endgültig aus dem sich neu formierenden Deutschland heraus. Als preußischer Ministerpräsident seit 1862 hatte Bismarck alles getan, um den unpopulären Trennungskrieg zu entfesseln. Die preußischen Sieger schrieben in der Folge ihre eigene, kleindeutsche und mehrheitlich protestantisch geprägte Geschichte.
Im am 23. August 1867 geschlossenen Frieden von Prag erkannte Österreich die Auflösung des Deutschen Bundes an, in dem die deutschen Einzelstaaten seit 1815 locker zusammengeschlossen waren. Damit erhielt Preußen nördlich des Mains endgültig freie Hand für Gebietsveränderungen und die Gründung eines neuen föderativen Staates. Der Deutsche Bund umfasste 22 unabhängige deutsche Staaten und Hansestädte nördlich des Mains mit 30 Millionen Einwohnern. Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und die Freie Stadt Frankfurt wurden von Preußen annektiert.
„Der nationale Gedanke und der Protestantismus haben gesiegt“, jubelte die Protestantische Kir-chenzeitung für das evangelische Deutschland. Mit der Gründung des Norddeutschen Bundes setzte sich Bismarck an die Spitze der Einigungsbewegung. Der neu gegründete Reichstag erarbeitete eine Verfassung, zu der Bismarck inhaltlich einen wesentlichen Teil beitrug; sie trat am 1. Juli 1867 in Kraft. Aber erst der Krieg gegen Frankreich, den Bismarck im Juli 1870 provozierte, brachte die Erfüllung eines von vielen gehegten Traumes: Jetzt traten auch die süddeutschen Staaten dem Bund bei. Im Januar 1871 wurde die deutsche Einigung vollendet.

Als Kanzler ein Jongleur mit vielen Bällen

Hatte Bismarck einen Masterplan, um ein von Preußen dominiertes Deutsches Reich zu gründen? Historiker gehen davon aus, dass er sich zwar strategische Ziele setzte, bei der Wahl der Mittel und Verbündeten aber improvisierte.
Als König Wilhelm I. am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles zum Kaiser proklamiert wur-de, stand Bismarck auf dem Höhepunkt seiner Macht. Außenpolitisch versuchte er fortan, eine Einkreisung des Reichs durch wechselnde Flirts mit England und Russland zu verhindern; sein Ziel war ein europäisches Gleichgewicht. Der Kanzler, der mit vielen Bällen jongliert, war eine damals sehr populäre Karikatur.
Innenpolitisch versuchte Bismarck skrupellos, Parteien und Interessengruppen gegeneinander aus-zuspielen und den Parlamentarismus zu schwächen. Mit der katholischen Kirche und der Zentrums-partei lieferte er sich eine harte Auseinandersetzung. Im Kulturkampf (1871-1878) bekämpfte der Protestant den klerikalen Einfluss. Mit scharfen Gesetzen und fortschrittlichen Sozialreformen versuchte Bismarck seit 1878 auch, den wachsenden Einfluss der SPD zu bekämpfen – vergeblich.

Seiner Machtbefugnisse beschnitten trat er zurück

Als 1888 Wilhelm II. den Thron bestieg, kam es zum Zerwürfnis. Der junge Kaiser beschnitt die Machtbefugnisse des Eisernen Kanzlers. 1890 trat Bismarck zurück. „Es ist ein Glück, daß wir ihn los sind“, gab der Dichter Theodor Fontane der Stimmung Ausdruck. „Seine Größe lag hinter ihm.“
Doch schon bald wurde Bismarck zum Mythos. In den Denkmälern, die nach seinem Tod 1898 aus dem Boden schossen, wurde er als martialischer Recke mit Pickelhaube, Stulpenstiefeln und Schwert verklärt. Der Reichsgründer wurde zur Leitfigur eines überhitzten Nationalismus. Für manche Historiker beschritt Deutschland mit Bismarck einen verhängnisvollen Sonderweg zum Obrigkeitsstaat, der zum Ersten Weltkrieg und zum Nationalsozialismus führte – eine Kontinuität, die aber von vielen anderen bestritten wird.