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Letzte Rettung für Verzweifelte

In dem unscheinbaren kleinen Haus in einer Oldenburger Seitenstraße wechseln sich alle paar Stunden Frauen und Männer am Telefon ab. Sie nehmen Anrufe überwiegend aus der Region entgegen, um Menschen in Krisensituationen und seelischer Not beizustehen – rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche, selbst am Heiligen Abend. Die ehrenamtlichen Telefonseelsorgerinnen und -seelsorger seien das Herz der Telefonseelsorge Oldenburg, die jetzt seit 50 Jahren besteht, sagt die Leiterin, Pastorin Elke Andrae. Am Sonntag wurde das Jubiläum mit einem Gottesdienst in der Oldenburger St. Lambertikirche gefeiert.

Oft beginnen die Gespräche mit einem „Gut, dass ich Sie erreicht habe.“ Wenn die Einsamkeit und Verzweiflung zu groß werden oder sich die Gedanken wie ein Strudel immer wieder nur um die eine Sache drehen, dann kann der Griff zum Telefon helfen, weiß Andrae. Auch psychisch kranke Menschen wählen immer wieder die bundesweit kostenlosen Telefonnummern 0800/1110111 und 0800/1110222.

Wie groß der Bedarf ist, zeigt ein Blick in die Statistik. Jeden Monat führen die rund 80 ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Dienststelle Oldenburg zusammen rund 8.000 bis 9.000 Telefonate. Dazu kommen rund 300 Chatkontakte. Denn die „TS“ – so wird die Telefonseelsorge intern genannt – ist seit 2019 auch online via Chat und E-Mail zu erreichen.

„Oft sind wir für verzweifelte Menschen ein Halt“, sagt Andrae. Dank der Handys ist die Telefonseelsorge heute von nahezu jedem Ort aus zu erreichen. Das erleichtere es, wenn Kontakt zu einem Menschen und Hilfe notwendig seien.

Drei Dinge sind nach Angaben der Leiterin seit den ersten Tagen grundlegend für die Arbeit der Telefonseelsorge: Anonymität, Verschwiegenheit und Zeit. „Niemand, der anruft, wird nach seinem Namen gefragt. Jeder kann anonym bleiben. Die Rufnummer der Anrufenden erscheint in keiner Anzeige.“

Wer zum Telefon greift, hat in der Regel niemanden, mit dem er oder sie sprechen kann. Einsamkeit ist das häufigste Thema. „Viele sind chronisch einsam und haben weder Familie noch Freunde. Andere haben den Kontakt zur Familie verloren. Wieder andere sind akut einsam, weil sie gerade vom Partner oder der Partnerin verlassen wurden“, erläutert Andrae.

Die Pastorin unterstreicht: „Wir geben keine Ratschläge. Wir sagen Ihnen nicht, was jemand tun oder lassen sollte. Aber wir führen ein Gespräch auf Augenhöhe und helfen, Gedanken und Emotionen zu sortieren.“

Zu den 80 Freiwilligen werden demnächst neun weitere Männer und Frauen hinzustoßen. „Sie befinden sich gerade in der Ausbildung.“ Denn wer bei der Telefonseelsorge mitarbeiten möchte, muss zunächst lernen, aktiv und mitfühlend zuzuhören und ein Gespräch selbstreflektiert zu führen. Telefonieren für die „TS“ will gelernt sein.

Die meisten Anrufenden sind dankbar für jemanden, der oder die geduldig zuhört, tröstet oder einfach das gemeinsame Schweigen aushält. Doch es gibt immer wieder Fälle, in denen es plötzlich zu Beschimpfungen kommt. „Dann haben wir auch die Freiheit, diese Aggression zurückzuweisen und das Gespräch zu beenden.“

Grundsätzlich sei das christliche Menschenbild das Leitmotiv der Telefonseelsorge. „Jeder und jede, die oder der bei uns anruft, ist ein wertvoller Mensch, ein Geschenk Gottes“, betont Andrae. „Das bedeutet Wertschätzung gegenüber jedem anderen, aber zugleich auch mir selbst gegenüber. Wir grenzen uns durchaus auch ab.“

Die Ausbildung bei der „TS“ dauert zwischen 13 und 15 Monate und ist auf mehrere Blöcke aufgeteilt. „Wer bei uns mitarbeiten will, muss sich zuvor mit dem eigenen Ich auseinandersetzen. Wo sind meine eigenen Schmerzpunkte, wann werde ich wütend?“

Um Seelsorge am Telefon leisten zu können, müssen die Männer und Frauen auch Distanz zu den Problemen der Anrufenden gewinnen können. Allein schon, um die eigene Seele zu schützen. „Oft hören wir sehr berührende Geschichten, die man nicht einfach so wegsteckt und über die man noch lange nachdenkt. Telefonseelsorger müssen lernen, damit umzugehen.“

Als Pastor Carl Dierken vor 50 Jahren mit einer Handvoll Menschen aus Oldenburg-Eversten die Telefonseelsorge in der Region aufbaute, bildete er seine Mitstreiterinnen noch am heimischen Küchentisch aus, berichtet Andrae. Er habe gezielt Menschen angefragt, ob sie als Seelsorgende am Telefon arbeiten wollten.

Heute kommen die Telefonseelsorgerinnen und -seelsorger aus vielen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft. Oft stehen sie an der Schwelle zum Ruhestand. „Ihnen geht es gut und sie möchten der Gesellschaft etwas zurückgeben, indem sie anderen Menschen helfen.“

Eine zugewandte Stimme aus dem Telefon zu hören, ist für viele Menschen schon ein Segen. Doch weil der Bedarf so groß ist, kann es vorkommen, dass die Leitung besetzt ist. Pastorin Andrae appelliert deshalb an die Menschen: „Bitte geben Sie dann nicht auf, sondern versuchen Sie es immer wieder. Irgendwann wird sich jemand am anderen Ende der Leitung melden.“