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Lesbische Pfarrerin: Kirchen müssen gegen Diskriminierung eintreten

Sibylle Biermann-Rau, Pfarrerin und seit mehr als 25 Jahren in einer Frauenbeziehung lebend, erzählt in ihrem Buch „Pfarrerin mit Frau“ die „unmögliche“ Geschichte ihrer Liebe zu einer Frau.

Sibylle Biermann-Rau ist Pfarrerin und lebt seit mehr als 25 jahren in einer Frauenbeziehung
Sibylle Biermann-Rau ist Pfarrerin und lebt seit mehr als 25 jahren in einer Frauenbeziehungprivat

Sibylle Biermann-Rau, Pfarrerin und seit mehr als 25 Jahren in einer Frauenbeziehung lebend, erzählt in ihrem Buch „Pfarrerin mit Frau“ die „unmögliche“ Geschichte ihrer Liebe zu einer Frau. Weitgehend musste sie sie verschweigen, weil anders liebende Partnerschaften in ihrer Württembergischen Kirche nicht erwünscht waren. Gleichzeitig ist ihr Buch ein wichtiger historischer Abriss kirchenpolitischer Entscheidungen gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensformen. Was das Buch bewirkt hat und was sie sich heute wünscht, darüber spricht sie im Gespräch mit Sibylle Sterzik.

Frau Biermann-Rau, welche Reaktionen haben Sie auf Ihr Buch erhalten?
Sibylle Biermann-Rau: Bisher sehr positive, von Menschen zwischen 20 und 90 Jahren, seien sie homosexuell oder nicht. Aus all meinen früheren Gemeinden kamen solidarische Reaktionen. Und für manche lesbisch und schwul lebende Menschen ist mein Buch offenbar auch eine Ermutigung. Das freut mich. Bei meinen Lesungen habe ich den Eindruck, dass diejenigen, die gleichgeschlechtliche Liebe ab lehnen, auch jetzt das direkte Gespräch vermeiden und meist erst gar nicht kommen.

„Hoffentlich merkt niemand, wie du liebst“ ist ein Kapitel überschrieben. Wie konnten Sie die Schere im Kopf überhaupt aushalten und was hat Ihnen geholfen?
Entlastend war natürlich, dass es die Familien und die FreundInnen bald wussten und wir uns da nicht verstecken mussten. Und nach 10 Jahren haben wir mit allen ein wunderbares Segnungsfest gefeiert, leider nicht in einer Kirche. Wichtig war auch Supervision. Und dann der Kreis gleich geschlechtlich liebender Theologinnen mit ihren Partnerinnen, eine Art Selbsthilfegruppe, die sich viermal im Jahr zum gemeinsamen Essen und intensiven Austausch trifft. Ohne diese Rückendeckung hätte ich wohl nicht solange als Gemeindepfarrerin durchhalten können. Endlich: Als ich 2 Jahre vor meinem Ruhestand noch eine Referentinnenstelle angenommen und von Anfang an offen meine Lebensform kommuniziert habe, war das befreiend.

Geriet Ihre Beziehung auch manchmal durch den vor allem kirchlichen Gegenwind von außen in Gefahr?
Es war natürlich schon eine Belastung, dass wir unsere Beziehung nach außen nicht frei leben konnten. Und dieser Druck von außen hat mich einfach auch viel Energie und Kraft gekostet. Meiner Partnerin ging es da anders, sie war keine Theologin. Aber dieser Gegenwind von außen hat uns natürlich auch zusammenhalten lassen.

Bei einer Fortbildung in Berlin konnten Sie „aufatmen in Berliner Luft“. Die EKBO war auch die erste Kirche, die vor fast genau 3 Jahren, am 23. Juli 2021, ihre Schuld gegenüber queeren Menschen bekannte, abgedruckt in Ihrem Buch. Wie haben Sie das damals erlebt?
Wir beide haben im Frühjahr 2012 in Berlin die selbstverständliche Vielfalt genossen, nicht zuletzt auch beim CSD-Umzug, den ich dort zum ersten Mal miterlebte. Und im Gottesdienst in der Marienkirche zum CSD-Tag wurden gleichgeschlechtliche Paare ausdrücklich eingeladen, sich segnen zu lassen. Das war weit entfernt von den ständigen Debatten in Württemberg zu Homosexualität und Segnung mit oft sehr verletzenden Äußerungen. Ja, und die Erklärung der EKBO von 2021 zur „Schuld an queeren Menschen“ ist wohltuend, sehr lesenswert. Darin werden wir einfühlsam gesehen und das hat etwas Heilendes. Dass wir ausdrücklich ermutigt werden, unsere Geschichte zu erzählen, hat mich natürlich motiviert beim Schreiben des Buches.

Wie sich die Haltung Ihrer Württembergischen Kirche inzwischen entwickelt?
Es gab ja schon seit 2003 einen Zusammenschluss von Einrichtungen und Einzelpersonen in Württemberg im „Bündnis Kirche und Homosexualität“, das uns solidarisch unterstützt hat. Auch sind mehr als 100 Gemeinden der Initiative „Regenbogen“ beigetreten und haben damit ein Willkommenssignal gesetzt. Es ist heute möglich, offen als Gemeindepfarrerin zusammen mit der Partnerin im Pfarrhaus zu leben, wenn auch nur in wenigen Kirchengemeinden. Auch Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare werden derzeit nur in rund 10 Prozent der württembergischen Gemeinden angeboten. Es gibt in der Landessynode einen Antrag zur Einführung der Trauung für alle, aber er braucht eine 2/3 Mehrheit.

Welche Bedeutung hat für Sie der Christopher Street Day (CSD) am 27. Juli?
Vor einigen Jahren sind wir auch mal als kirchliche Gruppe in Stuttgart mitgelaufen. In den Medien kommt der CSD-Umzug ja oft etwas schrill herüber. Ich habe ihn vor allem erlebt als Solidaritätskundgebung und als Fest der Vielfalt von Heteromenschen und „den anderen“, seien sie homo-oder bisexuell, transident, intergeschlechtlich, queer. Dass wir das so hier begehen und feiern können, ist gut und nicht selbstverständlich. In anderen Ländern können Menschen nur unter Gefahr daran teilnehmen, wenn es nicht sogar ganz verboten ist.

Was wünschen Sie sich für anders liebende Menschen in der Kirche und in aller Welt heute?
Ich wünsche mir, dass anders liebende Menschen in ihren Kirchen willkommen sind und ihren Platz haben wie alle anderen auch, dass ihre Liebe gesegnet wird und dass das zur Normalität wird und nicht weiter Aufhebens braucht und Energie verzehrt. Und dass die Kirchen eintreten gegen die Diskriminierung von queeren Menschen, die auch in unserem Land bei aller Akzeptanz immer noch geschieht und manchmal zunehmend. Ich wünsche mir, dass anders Liebende überall ihre Liebe leben können, ohne dass ihnen Verfolgung und Tod drohen. Das ist doch furchtbar. Da ist international noch viel zu tun.

Buchhinweis: Sibylle Biermann-Rau, Pfarrerin mit Frau. Eine (un)mögliche Geschichte, Wichern Berlin 2023 160 Seiten., 14 Euro