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Leben auf dem Schleudersitz

In Berlin wird der Wohnraum teuer. Immer mehr Menschen verlieren durch Zwangsräumung ihre Heimat.

Von Monika HerrmannDas Café Kotti im Berliner Stadtteil Kreuzberg an einem kalten Wintertag. Drinnen ist es warm und das Café ist gut besucht. Grund: Es ist ein Ort für jene, die nicht mehr weiter wissen, die Angst und Panik haben vor der Zwangsräumung ihrer Wohnung. Die Betroffenen leben oft seit Jahrzehnten in Kreuzberg. Doch jetzt können sie die hohen Mieten nicht mehr zahlen. Ganz normale Familien sind es, alte Menschen mit kleinen Renten, Studenten oder Alleinerziehende. Manche, die im Café sitzen, haben ihre Wohnung schon verloren und leben in Notunterkünften. Die 24-jährige türkisch-stämmige Layla wurde auch zwangsgeräumt, vertrieben aus dem Kiez, in dem sie aufgewachsen ist. Aber sie hatte noch Glück. Sie und ihre kleine Tochter fanden eine neue Wohnung, allerdings am Stadtrand. „Layla wurde praktisch auf die Straße gesetzt“, erzählt Ercan Yasaroglu im Café Kotti. Der Sozialarbeiter hatte verzweifelt versucht, die Zwangsräumung von Layla zu verhindern. Vergebens. Die Mietforderungen des Hausbesitzers waren für die junge Frau unbezahlbar geworden. Kein Einzelfall. „Investoren und Immobilienfirmen aus aller Welt haben Kreuzberg entdeckt und wollen die Kieze aufmotzen“, sagt Yarsaroglu. „Es geht um Luxusmodernisierung, um Rendite, an die Menschen denkt niemand.“ Die soziale Mischung, die es hier mal gab, sei weggebrochen. „Erst steigen die Mieten, dann werden die Wohnungen luxusmodernisiert und Stück für Stück teuer verkauft, nach einer Weile wieder verkauft zu noch höheren Preisen.“Yasaroglu, den alle hier nur Ercan nennen, kennt viele Kreuzberger, die nun in Angst leben. „Um nicht obdachlos zu werden, ziehen viele von ihnen weg, nehmen was sich bietet, Hauptsache die Miete ist zu bezahlen. Aber sie verlieren ihre Heimat.“ Ercan raucht Kette beim Gespräch im Café Kotti. Er wirkt angespannt. „Die Leute leben wie auf einem Schleudersitz. Sie wissen nicht, ob morgen oder nächste Woche die Bautrupps anrücken und ihre Wohnung einfach auseinanderreißen“, sagt er.Auch Ozman hat Angst. Innerlich hat sich der alte Mann längst auf seinen Auszug aus der Wohnung im Kiez vorbereitet. Jetzt sitzt er am Kiosk direkt vor dem U-Bahn-Eingang und sucht in der Zeitung nach Wohnungsangeboten. Vor 30 Jahren haben er und seine Frau ein kleines Dorf im Osten der Türkei verlassen und in Kreuzberg eine neue Heimat gefunden. „Wir leben dort drüben“, sagt er und zeigt auf die andere Seite des Platzes. Ozman erzählt von einer Mieterhöhung von über 250 Euro, die bei ihm auf dem Wohnzimmertisch liegt. „Das ist doch Wahnsinn“, sagt er und schüttelt den Kopf. (…)

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