Von Constanze Broelemann
Die „Sea-Watch 4“ sitzt in Palermo fest. Dass dem Rettungsschiff unter deutscher Flagge dieses Schicksal drohen würde, haben mir meine Crew-Kolleg*innen schon beim Auslaufen des Schiffes zu seiner ersten Rettungsmission auf dem Mittelmeer prophezeit. Geglaubt habe ich es ganz sicher, als ich es selbst erlebt habe. Wie ungebetene Gäste lagen wir nach der Ausschiffung der Migrant*innen auf eine große Passagierfähre vor Palermo vor Anker. Wir durften weder vor noch zurück. Ein Covid-19-Test, den die Organisation „Sea-Watch“ selbst initiiert und bezahlt hatte, um die italienischen Behörden von der Virusfreiheit der Crew zu überzeugen, hat nicht geholfen. Auch ein zweiter Test, dieses Mal von den italienischen Behörden angeordnet, der erneut die gesamte Crew negativ testete, erlaubte dem Schiff und seiner Crew nicht, zurück nach Spanien zu segeln. Denn das war der eigentliche Plan des Rettungsschiffes.
Zwei Wochen lang musste die Crew durchhalten, bis es zumindest an Land ging. Durchgestanden hat sie das mit viel gutem Willen, der Erfahrung – viele waren auf die Situation vorbereitet –, einem guten Teamgeist und mit einer ordentlichen Portion Relation. Denn für uns Europäer*innen waren das im Gegensatz zu den Migrant*innen bloß zwei Wochen des Festsitzens. Viele Migrant*innen müssen hingegen Jahre – oder gar ein Leben lang – mit behördlichen Auflagen ringen.
Auch wenn dieser Landgang in Italien nicht der gewünschte war, waren die meisten von der Crew froh, dass sie das Schiff verlassen konnten. Wenn auch mit einer gehörigen Portion Zorn. Denn die erwartete Festsetzung des Schiffes folgte auf dem Fuße. Einen halben Tag lang musste die Crew am palermitanischen Hafenkai verbringen, bis die Desinfektion des gesamten Schiffes abgeschlossen war. Und das, obwohl es bereits zuvor komplett von der Crew desinfiziert worden war. Am nächsten Tag folgte die obligatorische Hafenstaatkontrolle, die sich ganze elf Stunden lang hinzog. Die Offiziere der italienischen Küstenwache fanden – ebenfalls wie erwartet –Gründe, um die „Sea-Watch 4“ festzusetzen. Und nun liegt sie seit über 16 Tagen in Palermo fest.
Die Unterstützung der deutschen evangelischen Kirche, namentlich von dem Ratsvorsitzenden der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, wird geschätzt, wie ich an Bord erfahren konnte. Unterstützung vom deutschen Staat, vom Flaggenstaat, also von politischer Seite wurde hingegen vehement eingefordert. Der amtierende Verkehrsminister habe in letzter Zeit wieder viel getan, um die zivile Seenotrettung zu blockieren, erzählte man mir. Das ist maßgeblich über eine Gesetzesänderung geschehen. Ein anderes ziviles Rettungsschiff, die „Mare Liberum“, die dieser Gesetzesänderung zum Opfer fiel, ist gerade wieder „freigelassen“ worden. Die Festsetzung widerspreche EU-Recht, entschied die Hamburger Justiz. Ein weiterer Fall, in dem die zivilen Seenotretter*innen Recht bekamen. Aber eben erst im Nachhinein.
In der Zeit, in der die Rettungsschiffe festsitzen, sterben weiterhin Menschen. Allein im September sollen es 200 Menschen gewesen sein, die den Versuch, das zentrale Mittelmeer zu überqueren, nicht überlebt haben. Derzeit ist wieder kein Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer unterwegs. „Lasst uns unseren Job machen“, twitterte am Montag ein Besatzungsmitglied von „Ärzte ohne Grenzen“ von Bord der „Sea-Watch 4“. Sie richtete ihren Appell an die europäischen Regierungen. Diesen Apell kann ich – nachdem, was ich gesehen habe – nur unterstützen. Europa muss endlich eine Lösung finden, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Das ist schlicht unmenschlich und – so die Wahrheit – Alltag in Europa.
Constanze Broelemann leitet die Graubündner Redaktion von „reformiert“ in Chur und ist Pfarrerin. Sie bloggte unter www.evangelisch.de/seenotizen vom Einsatz der „Sea-Watch 4“ auf dem Mittelmeer.