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Landtagspräsidentin Aras: Der Weg des Erinnerns darf nicht zuwuchern

In einer zentralen Gedenkfeier hat der Landtag von Baden-Württemberg am Montag, dem 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch sowjetische Soldaten, der Millionen Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gedacht. Die Feier sei von den Verbänden der Opfergruppen mit vorbereitet worden, teilte die Landtagspressestelle mit. Stellvertretend für alle Opferverbände sprach Michael Kashi, Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs. Neben Vertretern aller Fraktionen und Kultusministerin Petra Olschowski (Grüne) nahmen Vertreter des öffentlichen Lebens und des konsularischen Korps sowie Schülerinnen und Schüler an der Gedenkfeier teil.

Die Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) verwies auf den langen Weg zum Erinnern. Viele hätten die Vergangenheit nie oder nicht mehr kennen wollen. Der Weg des Erinnerns sei von denen gemieden worden, „die wegschauten, weghörten, schwiegen, ignorierten“. Und er sei blockiert worden „von denen, die logen, relativierten, einen Schlussstrich forderten“. Die rechtliche Aufarbeitung sei „beschämend lückenhaft“ gewesen. Menschen, die nach dem Krieg Sühne und Gerechtigkeit für sich und andere suchten, hätten jahrzehntelang im politischen Gegenwind gestanden. „Bis es zum Erinnern kam, hat es lange gedauert.“

Heute sei das Erinnerte lange her. Umfragen zeigten, dass das Wissen zurückgehe: „Junge Befragte wissen immer weniger vom Holocaust, von der Schoah.“ Der Weg des Erinnerns müsse aber immer wieder gegangen werden. „Sonst wuchert er zu.“ Aras erinnerte an die Vielzahl der Opfer der „menschenverachtenden Mordmaschinerie der NS-Zeit“. „Wir gedenken der sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden. Wir gedenken der bis zu 500.000 ermordeten Sinti und Roma. Wir gedenken der ermordeten Zeugen Jehovas. Wir gedenken der ermordeten Menschen mit Behinderung. Wir gedenken der ermordeten queeren Menschen. Wir gedenken der ermordeten Menschen, die als “asozial„ beschimpft und herabgesetzt wurden. Wir gedenken der ermordeten Kriegsdienstverweigerer. Wir gedenken der ermordeten Oppositionellen. Wir gedenken der ermordeten Menschen aus dem aktiven und passiven Widerstand.“

Zum einen gehe es darum, an die Würde der Opfer zu erinnern. Aber auch darum, zu „begreifen, wozu Menschen fähig sind, wenn man dem Hass und der Herzlosigkeit nicht Einhalt gebietet“, solange es noch möglich sei. Aras zitierte dazu den Schriftsteller Erich Kästner: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät.“

Aktuell sei das Gedenken von einer Trivialisierung bedroht, sagte Martin Sabrow, Senior Fellow am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und Sprecher des Leibniz-Forschungsverbundes „Wert der Vergangenheit“. Diese Trivialisierung werde durch das Verschwinden der letzten Zeitzeugen des Holocaust beschleunigt. Das Gedenken verliere dadurch an Lebendigkeit.

Der Gedenkfeier ging ein stilles Gedenken voraus. Dabei legten Vertreter des Landes und von Opferorganisationen beim Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, zwischen Altem Schloss und Karlsplatz in Stuttgart, Kränze und Gestecke nieder. Der Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 ist seit 1996 in Deutschland offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. (0196/27.01.2025)