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Landessozialgericht: Kenntnis reicht für Leistungsanspruch aus

Ein möglicher Anspruch auf antragsfreie Sozialhilfe besteht ab dem Tag, an dem die Behörde den Bedarf erfährt. Diesen „Kenntnisgrundsatz“ hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg am Dienstag in Stuttgart bekräftigt. Das LSG Baden-Württemberg hatte am 19. September über einen Fall aus dem Zollernalbkreis entschieden, die Entscheidung wurde erst jetzt bekannt gegeben (Aktenzeichen L 7 SO 2479/23).

Sozialhilfe, so das Gericht, solle in Notlagen helfen, etwa bei den Kosten für ein Pflegeheim. Ab welchem Zeitpunkt ein Anspruch bestehe, sei immer wieder strittig. Die meisten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB XII) seien nicht von einem Antrag abhängig. Es genüge, dass die zuständige Behörde davon Kenntnis erlange, dass ein möglicher Leistungsberechtigter seinen Bedarf nicht selbst decken kann. Was genau die Behörde für eine solche „Kenntnis“ wissen müsse, sei jedoch nicht im Gesetz geregelt und in der Rechtsprechung umstritten.

Eine pflegebedürftige ältere Dame, die spätere Klägerin, kam in ein Pflegeheim in Albstadt-Ebingen, konnte aber die Heimkosten mit ihrer Rente nicht decken. Vermögen hatte sie nicht. Ihr Betreuer wandte sich am 17. Oktober 2019 an das Sozialamt des zuständigen Landkreises. Bei den eingereichten Unterlagen fehlten jedoch Angaben zum Vermögen. Er lieferte sie auf Nachfrage der Behörde auch nicht nach. Das Sozialamt unternahm ebenfalls nichts Weiteres, auch nicht auf eine Nachfrage des Pflegeheims im Juni 2020. Am 7. Dezember 2020 machte eine neue Betreuerin nochmals Leistungen geltend. Das Sozialamt gewährte die Leistungen erst ab diesem Zeitpunkt.

Das Sozialgericht Reutlingen hatte in erster Instanz bereits eine Leistungspflicht ab Juni 2020 gesehen. Im Berufungsverfahren hat das LSG Baden-Württemberg den Beklagten nun zur Übernahme der ungedeckten Heimkosten ab dem 17. Oktober 2019 verurteilt. Das Sozialamt habe im Schreiben vom 21. Oktober 2019, in dem es um weitere Unterlagen gebeten hatte, eine Kenntniserlangung am 17. Oktober 2019 bestätigt und sei diesbezüglich beim Wort zu nehmen.

Das Gericht verwies auf die nötige Gleichbehandlung: Werde ein formloser Antrag auf Sozialhilfeleistungen gestellt, den die Behörde ohne weitere Angaben noch nicht prüfen könne, seien Leistungen bei einer späteren erfolgreichen Prüfung rückwirkend ab Antragstellung zu zahlen. Deshalb müssten auch Leistungen, die nicht von einem Antrag abhängig seien, sofort mit Kenntnisnahme des Bedarfs durch die Behörde einsetzen, auch rückwirkend bei einer späteren Entscheidung. (2375/22.10.2024)