Sie sind altmodische Urlaubserinnerungen, überflüssige Staubfänger, oft kitschig – und doch so richtig hip: Schneekugeln. Es gibt kaum ein Motiv mehr, um das es nicht schneit. Das hat eine lange Tradition.
Egal, ob Kölner Dom, der Pariser Eiffelturm oder die Freiheitsstatue in New York: Die bekanntesten Baudenkmäler der Welt gibt es immer auch im Miniaturformat für den heimischen Kaminsims oder Setzkasten – und zwar im Schneegestöber. Schneekugeln gehören seit Jahrzehnten zu den Klassikern in Souvenirläden und haben mit dem 14. Dezember sogar einen eigenen kuriosen Feiertag – den Tag der Schneekugel.
Doch wie kommt man bloß darauf, ein Gebäude, eine bekannte Märchenszene oder in der heutigen Do-it-Yourself-Variante ein Foto in destilliertes und mit einem Konservierungsmittel versetztes Wasser sowie Schneeflocken aus Polystyrol zu setzen? Der Vorläufer geht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1572 gab Alchimist Leonard Thurneysser (1531-1596) wohl eine ganz besondere Glaskugel bei der Grimnitzer Glashütte – sie liegt im heutigen Brandenburg – in Auftrag. Mal wird sie als Glaskugel mit in Wasser schwimmenden Vögeln beschrieben; mal als zwei ineinandergefügte Kugeln. In der inneren soll ein Vogel zu sehen gewesen sein. Die äußere Kugel war mit Wasser gefüllt, in dem gläserne Fische schwammen.
Gleich, welche Beschreibung nun der Wirklichkeit am nächsten kam: In der frühen Neuzeit musste das Ergebnis fantastisch, ja magisch ausgesehen haben. Ohnehin dürften Kugeln in der Folge eine besondere Anziehungskraft gehabt haben. Die Gebrüder Grimm schrieben das Märchen “Die Kristallkugel” auf. Glas- und Kristallkugeln wurden fortan auch mit Weissagungen in Verbindung gebracht.
Zur Erfindung der Schneekugel brauchte es aber wohl einen nüchterneren, geradezu naturwissenschaftlichen Zugang. Über diesen verfügte der Wiener Erwin Perzy, der chirurgische Instrumente herstellte und Erfinder war. Seine Nachfahren betreiben heute in der österreichischen Hauptstadt das Schneekugelmuseum und haben die Anfänge aufgezeichnet. So soll Perzy bei der Suche nach Kaltlicht mit einer Schusterkugel, einem mit Wasser gefüllten, farblosen Glas-Kolben in Kugelform, experimentiert haben. Gefüllt mit Wasser wirkte sie wie eine Lumpe.
Perzy experimentierte weiter und fand beispielsweise heraus, dass Gries – gibt man ihn dazu – langsam herabschwebt, eben wie Schneefall. Die Schneekugel war geboren. Und damit es nicht nur rieselt, sondern um etwas rieselt, brauchte es eine winzige Figur, ein Gebäude. Das hatte Perzy, und zufällig war es eine Miniaturanfertigung der Basilika von Mariazell in der Obersteiermark.
Doch ob es tatsächlich die erste Schneekugel war? Im Bericht mehrerer US-Staatskommissare nach Washington über die Weltausstellung in Paris im Jahr 1878 ist bereits die Rede von einem “Briefbeschwerer in Form hohler Kugeln, gefüllt mit Wasser”; das Motiv: ein Mann mit Regenschirm. “Diese Kugeln enthalten außerdem ein weißes Pulver, das, wenn der Briefbeschwerer umgedreht wird, wie ein Schneesturm herabfällt”, ist dort weiter zu lesen. Wer sie erschaffen hat, darüber gibt es keine Informationen mehr.
Weitaus romantischer liest sich indes diese Entstehungsgeschichte: eine Fahrt durch den tief verschneiten Odenwald im Jahr 1950, ein abruptes Ende in einer Schneewehe, ein Blick durch die ovalen Rückfenster des VW-Käfers; dort zu sehen: drei Rehe in tanzenden Schneeflocken. Diese Szene soll Bernhard Koziol zur Erfindung seiner “Traumkugel” – so zu lesen auf der Homepage des gleichnamigen Unternehmens – inspiriert haben. Das Unternehmen in Erbach im Süden Hessens ist neben der Allgäuer Firma Walter & Prediger heute das einzige in Deutschland, das die kleinen Schneeminiaturen herstellt.
Doch muss es immer Romantik sein? Weit gefehlt. In den USA waren Schneekugeln lange beliebte Werbemittel für Firmen. Auch können sie kritisch daherkommen wie etwa im Jahr 2011 und ausgerechnet in der Schneekugelstadt Wien. Die Botschaft in der kleinen Kugel: Haltet Eure Stadt sauber, damit es nach dem Schmelzen des Schnees im Frühjahr keine hässlichen Überraschungen – etwa in Form von Hundehaufen – gibt. Passend dazu wurden keine touristischen Sehenswürdigkeiten wie Schloss Schönbrunn, der Stephansdom oder eine Silhouette des Praters in Glas gepackt, sondern Zigarettenkippen, auf der Straße entsorgter Abfall – und Hundehaufen.
Und mit einem Augenzwinkern erinnert eine Schneekugel an das Schneechaos im Münsterland im November 2005. Durch extremen – und für die Region untypischen Schneefall – waren mit einem Mal 250.000 Menschen vom Stromnetz abgeschnitten, teilweise sechs Tage lang und mit dramatischen Folgen für landwirtschaftliche Betriebe.
Entertainer Harald Schmidt präsentierte daraufhin in seiner gleichnamigen Show die Schneekugel von Ochtrup – mit umgeknickten Strommast und richtig viel Schnee, war die Stadt im westlichen Münsterland damals am stärksten vom Schneechaos betroffen. Anschließend wurde die Schneekugel dem örtlichen Töpfereimuseum überreicht, wo sie bis heute zu sehen ist.