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Kunst im Wald

Zwei große Fässer, gefertigt aus langen Ästen, stehen am Wegesrand im Wald am Böllenfalltor in Darmstadt. „Water and Migration“ nennt Künstler Amarsaikhan Namsraijav sein Werk. Es ist Teil des Internationalen Waldkunstpfades mit dem Thema „Kunst Natur Wasser“, der mitten in der Natur von Kunstwerk zu Kunstwerk führt. Gut zweieinhalb Kilometer lang ist der Spaziergang durch den Wald. Buchen, Eichen, Birken und Ahorn verlieren im Herbst ihre Blätter, es raschelt überall.

Seit 2002 gestaltet der Darmstädter Verein für Internationale Waldkunst alle zwei Jahre einen neuen Waldkunstpfad. „Kunst Natur Wasser“ wurde 2024 eröffnet und ist schon der zwölfte. Indem Künstlerinnen und Künstler entlang des Pfades mit ästhetischen Mitteln den Auswirkungen der Klimaerwärmung auf den Wald nachspürten, könnten sie Besuchern helfen, ein Bewusstsein für die Veränderungen zu entwickeln, sagt Kuratorin Ute Ritschel. Denn die Klimaerwärmung und der damit verbundene Wassermangel haben den Wald auch in Darmstadt verändert. Lichte Kronen und Lücken in der Bepflanzung sind deutlich zu sehen.

Amarsaikhan Namsraijav hat bei seinen Fässern weniger an den Darmstädter Wald als an seine Vorfahren gedacht: Sie seien Nomaden in der Mongolei gewesen, hätten sich durch die Jahreszeiten bewegt und so Grundwasser an verschiedenen Stellen verbraucht, erklärt er. Durch dieses Nomadenleben sei kein Wassermangel entstanden.

Die Besucher des jüngsten Waldkunstpfades konnten bei seiner Eröffnung vor einem Jahr 14 neue Installationen und sieben Performances erleben, die eine Verbindung zum Wasser hatten. Einige stehen noch, etwa die Wasserhörbank. Die ovale Kiste, die an einer Seite einen Baum umschließt, bietet sich als Sitzgelegenheit an und erschließt den Besuchern mithilfe von QR-Codes Experten-Interviews zu Wasser, Klima und Umweltschutz. Von anderen Installationen sieht man nur noch Äste am Boden liegen, oder sie sind völlig verschwunden.

Die Waldkunst in Südhessen lädt Künstler aus vielen Ländern ein, Vorschläge zu den Jahresthemen zu machen. Wer schließlich teilnimmt, baut sein Werk innerhalb von drei Wochen vor Ausstellungsbeginn, angepasst an die Verhältnisse vor Ort. Überwiegend arbeiten die Künstler und Künstlerinnen mit natürlichen Materialien: viel Holz, vereinzelt Stoffe, Steine und Metall.

Manches erschaffen sie direkt im Wald, anderes in der Werkstatt des Waldkunstzentrums. Zwar entstehen auch transportable Skulpturen, aber niemals für das Atelier oder Museum, sondern immer für die Natur. „Es ist eine einmalige Verbindung zwischen Kunst und Natur“, sagt Kuratorin Ritschel, die auch Waldkunstpfade in den USA, in China und in Österreich verwirklicht hat.

Etwa ein Drittel der Kunstwerke vergehe innerhalb einiger Monate, sagt die Kulturanthropologin, ein Drittel müsse nach zwei Jahren Platz schaffen für neue Kunst, und ein Drittel bleibe etwa zehn Jahre. Rund 130.000 bis 150.000 Besucherinnen und Besucher nutzten jährlich die Möglichkeit, „kostenfrei bei einem Spaziergang die internationale Kunst zu genießen“, sagt Ritschel. Die Menschen sollten sich im Wald wohlfühlen. Sie selbst ist auf dem Land aufgewachsen und hatte „schon als Kind eine enge Verbindung zum Wald“.

Neue Kunst findet Ritschel auch über das aus Südkorea stammende Global Nomadic Art Project (GNAP). Die Kuratorin und ihr Team haben das Projekt in diesem Jahr zum vierten Mal in Darmstadt veranstaltet: 23 Künstlerinnen und Künstler aus zehn Ländern haben sich zwei Wochen lang von der Natur zu flüchtigen Kunstwerken inspirieren lassen. Eine Spirale des Lebens, aus Eicheln gelegt, ein Künstler, der sich auf einem Fels liegend mit Moos bedeckt, bemalte Blätter und wie zu einem Mahl angerichtetes Obst vom Wegesrand: Die Werke werden fotografiert, danach sind sie der Vergänglichkeit preisgegeben. „Jeder hört in sich hinein, was er mit einer Landschaft verbindet“, sagt Ritschel.

Im Wald sind aktuell noch gut 35 der insgesamt 340 im Laufe der Jahre entstandenen Kunstwerke zu sehen. Vom Motto „Realität und Romantik“ ist etwa das Luftschloss geblieben. Circa fünf Meter über dem Boden hängt das Haus aus Holzstäben, die sich sacht im Wind bewegen. Wer will, kann sich unter das Haus stellen, Schutz vor Regen oder Sturm bietet es nicht.

Ein paar hundert Meter weiter bricht ein U-Boot aus Holzplanken aus dem Waldboden. Nachdem das erste Boot morsch geworden war und abgebaut werden sollte, gab es Proteste aus der Bevölkerung. Daraufhin sammelte der Waldkunstverein Spenden und ließ den Künstler sein Boot noch einmal bauen.

Neuestes Projekt des Vereins ist der Modaukunstpfad: Entlang des Nebenflusses des Rheins soll eine Kunstmeile entstehen. Vier Kunstwerke stehen bereits im Darmstädter Stadtteil Eberstadt: eine „Wellenbank“ und ein Anleger im venezianischen Stil sowie ein Steg, der zur Meditation einlädt und eine die Modau überspannende Segelkonstruktion.