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„Kümmern“ ist auch Arbeit

Wie kann man erreichen, dass die Chancen im Leben nicht mehr vom Geschlecht abhängen? Danach fragt das Gutachten für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung

Am 7. März wurde das Gutachten für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung der Öffentlichkeit vorgestellt. Es interessiert sich dafür, welche konkreten Schritte heute erforderlich erscheinen, damit künftig Verwirklichungschancen im Lebensverlauf nicht mehr vom Geschlecht abhängen.
Dafür müssen Erwerbsarbeit und Sorgearbeit (Care) stärker gemeinsam in den Blick genommen werden. Alle Menschen sollten neben der Erwerbsarbeit auch private Sorgearbeit für Kinder, für pflegebedürftige Angehörige und in haushaltsnahen Dienstleistungen ausüben können.
Noch ist das kaum möglich. Um die Probleme sichtbarer zu machen, schlägt das Gutachten vor, neben dem Gender Pay Gap (der die Lohnlücke in der Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern betrifft) regelmäßig auch den Gender Care Gap zu ermitteln. Die Kommission hat ihn erstmals errechnen lassen: Danach leisteten Frauen im Jahre 2012 mehr als anderthalb Mal soviel unbezahlte Care-Arbeit wie Männer; der Gender Care Gap betrug 52 Prozent.
Das Gutachten zeigt: Bei Aushandlungsprozessen in Familien und Paarbeziehungen, also etwa bei der Entscheidung, welcher Elternteil einen größeren Anteil an der Kindererziehung übernimmt und welcher Elternteil sich auf die Karriere konzentriert, spielen gesellschaftliche, rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen eine große Rolle. Hier entscheidet oft, wer an der Arbeitsstelle mit weniger Problemen zu rechnen hat, falls er oder sie zeitweilig kürzertreten oder bei Krankheit des Kindes zu Hause bleiben möchte. Bedeutsam ist auch, wer mehr verdient und mehr zum Haushaltseinkommen beiträgt. Das Steuer- und das Sozialversicherungsrecht geben zudem Anreize für eine ungleiche Arbeitsteilung, die für Nachteile von Frauen über den Lebensverlauf hinweg verantwortlich wird.
Arbeitgeber*innen sollten deshalb dafür sorgen, dass es künftig auch im Betrieb selbstverständlich wird, für die Familie  da sein zu können – auch im Blick auf Väter und Führungskräfte. Der Gesetzgeber könnte diese Prozesse mit einem Wahlarbeitszeitgesetz und einer sozialen Leistung für Familienarbeitszeit unterstützen. Er könnte die frühzeitige Einbindung von Vätern in die Kindererziehung fördern, indem er eine Vaterschaftsleistung unmittelbar nach Geburt eines Kindes einführt und die Partnermonate beim Elterngeld ausdehnt. Unabdingbar bleiben ein gleichstellungspolitisch neutrales Steuer- und Sozialversicherungsrecht sowie Infrastrukturen und Dienstleistungen, die für alle zugänglich und von hoher Qualität sind. Und natürlich muss die erwerbsförmige Care-Arbeit in sozialen und personenbezogenen Dienstleistungsberufen künftig auch finanziell endlich gebührende Wertschätzung erfahren.

Dr. Eva Kocher ist Professorin an der Juristischen Fakuktät an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder), und Vorsitzende der Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung.