Krise überall. Ein von vielen Menschen gefühlter Zustand schlägt sich auch in der Sprache nieder. “Krisenmodus” hat nach Ansicht von Sprachexperten das Jahr 2023 geprägt. Der Ausnahmezustand sei nun Dauerzustand.
Der Begriff “Krisenmodus” ist zum Wort des Jahres 2023 gekürt worden. “Krisen gab es schon immer. Aber in diesem Jahr scheinen die Krisen und ihre Bewältigung zu kulminieren”, teilte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) am Freitag in Wiesbaden mit. “Wir sind umzingelt von Krisen”, hieß es mit Blick auf eine Aussage von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).
Noch nicht bewältigte Krisen wie Klimawandel, der Russland-Ukraine-Krieg oder die Energiekrise würden von neuen Krisen eingeholt. Nahostkrieg, Inflation und Schuldenkrise kämen nun hinzu und auch die Bildungskrise habe sich zuspitzt. “Der Ausnahmezustand ist längst zum Dauerzustand geworden. Gefühle wie Unsicherheit, Ängste, Wut, Hilflosigkeit und Ohnmacht prägen den Alltag vieler Menschen”, erklärten die Sprachexperten. “Zwischen Apathie und Alarmismus zu einem angemessenen Umgang mit den andauernden Ausnahmesituationen zu finden, fällt schwer.” Linguistisch zu beobachten sei dies an einer “zunehmenden sprachlichen Radikalisierung im öffentlichen Raum”.
Jeweils kurz vor Jahresende wählt eine Jury von Sprachwissenschaftlern aus verschiedenen Medien und Einsendungen zehn Wörter des Jahres aus und stellt eine Rangliste auf. Die Sprachexperten suchen nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern nach Begriffen, “die die öffentliche Diskussion dominiert und ein Jahr wesentlich geprägt haben”. 2022 wurde “Zeitenwende” gekürt, 2021 “Wellenbrecher” und 2020 “Corona-Pandemie”.
Auf den zweiten Platz für 2023 wählte die Jury den Ausdruck “Antisemitismus”, gefolgt von “leseunfähig”, “KI-Boom”, “Ampelzoff” sowie “hybride Kriegsführung”, “Migrationsbremse”, “Milliardenloch”, “Teilzeitgesellschaft” und “Kussskandal”.
Zum Thema Antisemitismus (Platz 2) schreiben die Sprachforscher: “Antisemitismus existierte lange vor dem Nationalsozialismus und ist auch nach dem Zweiten Weltkrieg nie ausgestorben.” Spätestens der Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober habe aber “offenbart, dass es in Deutschland nicht nur rechts-, sondern auch linksradikalen Antisemitismus gibt”. Ebenso sei eine “islamistisch geprägte und in Teilen der muslimischen Bevölkerung wahrnehmbare Judenfeindlichkeit” zutagegetreten.
“Leseunfähig” (Platz 3) verweise darauf, dass das Verstehen komplizierter Texte offenbar immer mehr Menschen Schwierigkeiten bereite. Es sei auch ein Indiz für eine “grundlegende Bildungsmisere in Deutschland”.
Der “KI-Boom” (Platz 4) leite eine “Umwälzung in allen Bereichen” ein, etwa in der Krebsforschung und im Gesundheitswesen, in der Fertigungs- und Materialtechnologie sowie in der Verkehrssicherheit und Verkehrsplanung. Die rasanten Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz (KI) brächten Chancen und Risiken mit sich.
Die nächstplatzierten Begriffe “Ampelzoff”, “hybride Kriegsführung”, “Migrationsbremse”, “Milliardenloch” und “Teilzeitgesellschaft” dürften politisch interessierten Menschen aus den Debatten des Jahres 2023 geläufig sein.
Der “Kussskandal” (Platz 10) stammt aus dem Sport. Er bezieht sich auf den Eklat, den Spaniens Fußballverbandspräsident Luis Rubiales auslöste, indem er Jennifer Hermoso, Kapitänin des spanischen Fußballnationalteams, bei der Weltmeisterschafts-Siegerehrung in Sydney ungefragt öffentlich auf den Mund küsste. Rubiales musste später zurücktreten. Orthografisch sei der dreimal aufeinanderfolgende Buchstabe “s” in “Kussskandal” eine Konstellation, die auch nach der Rechtschreibreform von 1998 im Deutschen selten geblieben sei, so die Sprachforscher.