Dokumentarfilm über die indische Stadt Chandigarh, die Anfang der 1950er-Jahre von dem Schweizer Architekten Le Corbusier als monumentale Planstadt erbaut wurde.
Gleich zu Beginn erscheint das Schild “Welcome to Chandigarh – The city beautiful” am Eingang der indischen Planstadt Chandigarh, die offenbar ein Ort des puren Optimismus ist, eine gebaute Utopie nach den Plänen des legendären Architekten Le Corbusier. Sie war mit dem Schweizer Baumeister auf der alten Zehn-Franken-Note abgebildet.
Nachdem sich Indien 1947 aus der britischen Kolonialherrschaft befreit hatte und die Teilung des Subkontinents in Indien und Pakistan erfolgt war, musste im indischen Teil der Provinz Punjab eine neue Verwaltungsstadt gebaut werden, da sich die Hauptstadt nun in Pakistan befand. Der erste Premierminister von Indien, Jawaharlal Nehru, erteilte persönlich den Auftrag zu dem monumentalen Bauvorhaben. Er wünschte sich eine neue Stadt, die der Freiheit Indiens symbolisch ein Denkmal setzen sollte, losgelöst von den Traditionen der Vergangenheit.
Für Le Corbusier bot diese Aufgabe die Möglichkeit, seine städtebaulichen Ideen und die Ideale der Moderne von Licht, Luft und Sonne in urbanen Ausmaßen anzuwenden. Er entwarf einen Lebensraum für 500.000 Menschen mit äußerem Grüngürtel und Alleen, die geometrisch angeordnet waren. Auch ein künstlicher See und eine ungewöhnliche Reihung von Regierungsgebäuden, der “Chandigarh Capitol Complex”, bereicherten seine Pläne.
Das riesige Bauensemble aus Gericht, Parlament und Verwaltung gehört seit 2016 zum Weltkulturerbe, ist nach einem Selbstmordanschlag aber nur schwer zugänglich. Diese Entwicklung kontrastiert mit Le Corbusiers Vorstellungen von einer Architektur, die ein gesellschaftliches Miteinander garantiert.
Das Leben in der Stadt sollte “im Einklang mit der Natur” gestaltet werden, als eine “bessere, gerechtere und harmonischere Welt”. Da inzwischen aber doppelt so viele Menschen in der realen Stadt leben, mussten an dem ursprünglichen Entwurf viele Veränderungen vorgenommen werden. Im Umland sind Slums entstanden, in die arme Menschen vom Land gezogen sind.
Flankiert wird die Collage aus Archivbildern, Le-Corbusier-Zitaten, Interviews mit lokalen Künstlerinnen, Architekten und Stadtaktivisten von architektonischen Aufnahmen. Dass die Gebäude in ihrer Gesamtheit trotz des Zuzugs einer rasant wachsenden Bevölkerung, trotz Hitze und Monsun relativ gut erhalten sind, liegt am sogenannten Edikt von Chandigarh. Darin schrieb Le Corbusier akribisch vor, wie er sich die Pflege vorstellt und welche baulichen Veränderungen, wenn überhaupt, stattfinden dürfen.
In “Kraft der Utopie” kommen Studenten, Touristenführer, Gastwirte und nicht zuletzt auch Deepika Gandhi, die Direktorin des Le Corbusier Centre, zu Wort. “Chandigarh wurde als Fußgängerstadt entworfen”, sagt sie. Le Corbusier passte seine heute etwas anachronistisch wirkende Idealstadt ans lokale Klima an.
Architekt Siddhartha Wig hält sie für ein Museum und zweifelt an Corbusiers “Verständnis vom Kontext der Kultur, für die er entwarf”. Denn die indischen Architekten seines Teams hätten allesamt an westlichen Schulen studiert. Für Wig ist das aber nicht weiter problematisch. “Wir haben einen fremden Meister genommen und ihn zu unserem eigenen gemacht. Es nimmt unserer Identität nichts weg, sondern bereichert sie.” Für manche Anhänger aktueller Identitätspolitik ist das eine provozierende Aussage, da sie gemeinsame humanistische Werte voraussetzt und nicht gleich einen Fall von Kulturimperialismus wittert oder den Versuch, Indien westliche Vorstellungen von Fortschritt aufzuzwingen.
Obwohl die Dokumentaristen von Corbusiers Ideen sichtlich fasziniert sind, verklären sie die avantgardistische Vision nicht, sondern beschäftigen sich auch mit den Problemen der Stadt, etwa den steigenden Wohnungspreisen oder dem Verlust von öffentlichen Räumen.
Die Regierung überlegt deshalb inzwischen, das Edikt mit Beteiligung der Bevölkerung umzuschreiben. Gleichzeitig wird die aktuelle Aufbruchstimmung des global bevölkerungsstärksten Landes spürbar, das den Konkurrenten China mit neuen Flughäfen, Autobahnen und Eisenbahnstrecken zu übertrumpfen versucht. Ein Wachstum, das auch in Chandigarth Gewinner und Verlierer kennt.