Sie trainierten auf Stahlwerkplätzen, in privaten Gärten oder auf der Kuhwiese eines Bauern: „Wir wollten einfach Fußball spielen, das Verbot hat uns dabei wenig geschert“, sagt die heute 77-jährige Anne Droste. Es war vor 60 Jahren, als der Deutsche Fußball-Bund seinen Vereinen untersagte, Damenfußball-Abteilungen zu gründen, am 30. Juli 1955. Was Droste und ihre Mitstreiterinnen wenig beeindruckte: Sie kickten weiter und gründeten im selben Jahr ihren eigenen Verein, Fortuna Dortmund.
Schon als Kind hatte die Dortmunderin mit den Nachbarsjungen Fußball gespielt. „Wir haben damals Schularbeiten gemacht, danach ging‘s raus zum Pöhlen“, erinnert sie sich. Mit Lumpen- oder Lederball, oft wurde „Straße gegen Straße“ gekickt.
Viel schwarz-gelb in der Wohnung
Noch heute wohnt Droste im Herzen der Fußballstadt, nur ein paar Straßen entfernt vom legendären Borsigplatz. Hier wurde 1909 der Ballsportverein Borussia Dortmund gegründet, der BVB. Auch Drostes Wohnung ist mit schwarz-gelben Fanschals, Aufklebern und Magneten des Vereins gespickt. Von ihrem Sofa aus verfolgt sie regelmäßig die Spiele im Fernsehen und schaut im Videotext die Spielergebnisse nach.
Die wechselvolle Geschichte des deutschen Frauenfußballs hat der Buchautor und freie Journalist Eduard Hoffmann aufgeschrieben. „Für die Herren im Verband war es damals undenkbar, dass die Frauen gegen einen Ball treten“, beschreibt er die Situation im Jahr 1955. Der DFB begründete sein Verbot damit, dass die weibliche Anmut im Kampf um den Ball verschwinde: „Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“, heißt es in dem Beschluss von 1955.
Den Mitgliedsvereinen droht eine Strafe, wenn sie Frauen auf den Platz lassen. Doch immer mehr Frauenvereine entstehen. Die Spielerinnen weichen auf städtische Plätze aus. „Die vom DFB haben uns das Leben schwergemacht“, erinnert sich die ehemalige Fortuna-Spielerin Renate Bress. Doch sie finden einen Manager, der sogar Länderspiele organisiert.
Wenn sie zu den Spielen fahren wollte, musste die 19-jährige Kaufmännische Angestellte Anne Droste lügen. Niemals hätte der Chef ihr an einem Samstag freigegeben. Keiner der Kollegen durfte von ihrem Hobby wissen. „Ich habe meine zwei Omas sterben lassen, obwohl sie schon tot waren“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Mit einem Bus, einmal auch nachts per Anhalter, geht es quer durch die Republik und ins benachbarte Ausland.
Manchmal haben mehr als 18 000 Zuschauer die Spiele verfolgt. Männer seien zunächst zur „Fleischbeschau“ gekommen, wie Hoffmann es formuliert. „Schnell haben sie festgestellt, dass die Frauen tatsächlich mit dem Ball umgehen können.“ Auch die Medien werden auf die „Fußball-Amazonen“ aufmerksam. Die Berichte hat Anne Droste in einem Ordner gesammelt. Die „Bild“-Zeitung schrieb von „fußballverrückten Grazien“ und fragte, ob der „Fußball-Sturmlauf auf Stöckelschuhen noch zu stoppen ist“. Zwar stellen sich in Zeiten des Verbots nur wenige Zeitungen auf die Seite des DFB, doch die Berichte sind oft herablassend: „Die solange zu Hause gebliebene Fußballbraut zeigt teilweise sogar bestrickenden Stil“, schreibt der „Spiegel der Woche“ über ein Länderspiel in München. Und der Münchner Merkur: „Es knallten haushohe Kopfbälle von Dauerwelle zu Dauerwelle“.
Für die Welt- und Europafußballerin 2014, Nadine Keßler, ist es heute unbegreiflich, dass Frauen noch vor wenigen Jahrzehnten allein auf das Äußere reduziert wurden. „Wir spielen ja nicht Fußball, um attraktiv zu sein“, sagt die Profi-Spielerin. Im vergangenen Jahr wurde die 27-Jährige mit dem Vfl Wolfsburg Deutsche Meisterin und Championsleague-Siegerin.
DFB will Alleinvertretungsrecht
1970 hebt der DFB das Verbot auf. Journalist Hoffmann zufolge geschieht dies nur, weil bis zu 60 000 Spielerinnen kurz davor sind, einen eigenen Verband zu gründen: „Der DFB wollte aber das Alleinvertretungsrecht behalten.“ Fortuna Dortmund gab es da bereits nicht mehr. Die Spielerinnen mussten den Verein 1965 auflösen, nach mehr als 150 Spielen – weil der Nachwuchs fehlte.
Buchhinweis: Eduard Hoffmann, Jürgen Nendza: Verlacht, verboten und gefeiert – Zur Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland. Verlag Ralf Liebe, Weilerswist, 224 Seiten,10 Euro.