Was steht in dem Gutachten?
Klimaschutz ist keine freiwillige Angelegenheit, sondern völkerrechtlich verpflichtend – so lässt sich die Argumentation des höchsten UN-Gerichts im Kern zusammenfassen. Dabei verweis der IGH auf Verträge wie die UN-Klimarahmenkonvention, aber auch auf Menschenrechtsnormen und das Völkergewohnheitsrecht. Letzteres hebt der Jurist Markus Gehring von der britischen Cambridge University hervor. Dadurch könnten auch Staaten in die Verantwortung genommen werden, die bestehende Verträge wie etwa das Pariser Klimaabkommen verlassen, sagte Gehring dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Mit seiner Rechtsauffassung stärkt der IGH zudem das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015. Darin hieß es noch, der Temperaturanstieg im Vergleich zur vorindustriellen Zeit solle auf deutlich unter zwei Grad Celsius beschränkt werden und wenn möglich auf 1,5 Grad. Bei der Verlesung der Stellungnahme verschärfte IGH-Präsident Yuji Iwasawa diese Formulierung nun und hob die 1,5-Grad-Schwelle mit Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse als „primäres Temperaturziel“ hervor.
Was sagt das Gutachten zu Klima-Entschädigungszahlungen?
Seit Jahren gibt es eine Debatte über die Frage, ob besonders von der Klimakrise betroffene Länder oder Gemeinschaften – etwa die pazifischen Inselstaaten – einen Anspruch auf Entschädigung haben. Dahinter steht eine fundamentale Gerechtigkeitsfrage: Denn häufig leiden besonders Menschen in jenen Ländern am stärksten unter den Folgen der Erderwärmung, die aufgrund ihrer geringen Treibhausgasemissionen kaum dazu beigetragen haben.
Der IGH stellt in dem Gutachten nun grundsätzlich fest, dass Versäumnisse beim Klimaschutz eine Verletzung des Völkerrechts darstellen können. Daraus könnten nach Auffassung der 15 Richterinnen und Richter im Prinzip auch Ansprüche auf Entschädigungszahlungen folgen. Jedoch müsse dafür unter anderem ein ausreichender Zusammenhang zwischen Ursache und Folge nachgewiesen werden.
Zwingt das Gutachten einzelne Länder zu mehr Klimaschutz oder Reparationszahlungen?
Nein, denn anders als Urteile des IGH in bilateralen Streitfällen sind die Gutachten für einzelne Staaten nicht unmittelbar bindend. Aber es entfaltet politisch und rechtlich eine große Signalwirkung. Zukünftige Klimaklagen gegen Unternehmen könnten dadurch beeinflusst werden.
Zudem rechnen Fachleute mit Impulsen für die Klimaverhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen. Das könnte schon im November bei dem 30. Weltklimagipfel (COP 30) im brasilianischen Belém der Fall sein.

Was sagt die Bundesregierung zu dem Gutachten?
In einer ersten Reaktion betonte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) die Bedeutung für den weltweiten Kampf gegen die Erderwärmung. „Ich wünsche mir, dass die Staatengemeinschaft dieses Gutachten zum Anlass nimmt, das Engagement für den Klimaschutz zu verstärken und die internationale Zusammenarbeit zu verbessern“, sagte Schneider. Der IGH habe deutlich gemacht, dass Klimaschutz eine „Menschheitsaufgabe“ sei, die alle Länder in die Pflicht nehme. Laut Umweltministerium wird die Bundesregierung die Stellungnahme in den kommenden Tagen im Detail auswerten.
Wie fallen die weiteren Reaktionen auf das Gutachten aus?
UN-Generalsekretär António Guterres begrüßte das Gutachten als einen Sieg für „unseren Planeten“ und die Klimagerechtigkeit. Umweltschützer feiern die Stellungnahme aus Den Haag ebenfalls. Der IGH habe eine „neue Zeitrechnung im Klimaschutz ausgerufen“, sagte etwa der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser.
Wie kam es zu dem Gutachten?
Der IGH wurde 2023 von der UN-Vollversammlung damit beauftragt. Vorangetrieben hatte das der pazifische Inselstaat Vanuatu, dessen Bevölkerung unter anderem aufgrund des steigenden Meeresspiegels besonders von der Klimakrise bedroht ist.
