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Klarheit in der Abgeschiedenheit

Frauen und Männer blicken beim „Kloster-Gender-Seminar“ zu Jahresbeginn zurück und nach vorn, erörtern in Gesprächen Erwartungen und reflektieren Rollenverhalten und -verständnis

börstel – „Blick zurück – nach vorn“, lautete der Titel des „Kloster-Gender-Seminars“, das der Fachbereich Männer, Familie, Ehrenamt und das Frauenreferat der Evangelischen Kirche von Westfalen im Institut für Kirche und Gesellschaft (IKG) vom 8. bis 10. Januar erstmalig durchgeführt haben. 23 Teilnehmende, darunter sechs Männer, hatten sich angemeldet und wollten in der Ruhe des Stifts Börstel auf ihr Jahr 2015 zurückschauen und den Blick für das neue Jahr 2016 weiten.
Neben Gebetszeiten der Stiftsdamen in der Tradition von Taizé praktizierten die teilnehmenden Frauen und Männer auch Yoga und reflektierten ihr Rollenverhalten als Männer und Frauen. „Ich will mich nicht mehr als kleines Mädchen fühlen, wenn mein Chef mit mir spricht – ich bin schließlich über vierzig!“, resümierte eine Teilnehmerin ihren Blick zurück. Ein Teilnehmer fasste den Entschluss, nach einem Jahr der Durststrecke nun einen beruflichen Neustart zu wagen und seiner Familie dabei einen größeren Stellenwert einräumen zu wollen als bisher.
„Das Seminar hatte die eigene kritische Reflexion mit Genderblick zum Ziel“, so Martin Treichel, Landesmännerpfarrer der westfälischen Landeskirche. „Dabei lag unser Fokus sowohl auf der Reflexion in geschlechterhomogenen Gruppen als auch im Austausch zwischen Frauen und Männern“, ergänzt Nicole Richter, Fachbereichsleiterin des Frauenreferats der Landeskirche.
So gab es zum Beispiel eine Einheit, in der Männer und Frauen sich Fragen stellen konnten, die sie beschäftigen. „Wie würdet ihr reagieren, wenn euer Sohn euch darüber informiert, dass er homosexuell ist?“, wollten die Frauen wissen. „Für uns wäre es schlimmer, wenn unser Sohn einen rechtsradikalen Freund mit nach Hause brächte. Homosexualität an sich ist kein Problem für uns“, lautete die Antwort der Männer. „Wie findet ihr es, als das ,schöne Geschlecht‘ bezeichnet zu werden?“, fragten die Männer. „Als schön bezeichnet zu werden, ist kein Pro­blem, aber darauf reduziert zu werden sehr wohl“, entgegneten die Frauen.
Neben diesem Austausch zu Genderfragen, also zu Fragen zum Geschlechter- und Rollenverständnis und -verhalten, inspirierte die Teilnehmenden auch der Tagungsort Stift Börstel selbst. Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster ist seit fast 400 Jahren Heimat eines ökumenisch besetzten sogenannten Stiftskapitels.So wird die christliche Gemeinschaft der hier zusammenlebenden alleinstehenden Frauen genannt
Das Freiweltliche Stift liegt mitten im Wald an der Straße Berge–Herzlake am Nordrand des Landkreises Osnabrück. Nach alter Tradition der Zisterzienser ist die nächste Ortschaft auch heute noch eine Fußweg-Stunde entfernt. In der Abgeschiedenheit wird so die klösterliche Atmosphäre spürbar.
Seit der Reformation bis heute können zehn Frauen in das Stiftskapitel aufgenommen werden. Das Freiweltliche Stift Börstel ist als ökumenische geistliche Gemeinschaft mit acht evangelischen und zwei katholischen Kapitelplätzen dabei eine Besonderheit in der heute noch bestehenden Kloster- und Stiftslandschaft in Niedersachsen.
Die Gruppe hatte bei ihrem Klosterwochenende auch die Möglichkeit, die geistliche Gemeinschaft des Stiftes zu erleben und an den regelmäßigen Andachten in der Tradition von Taizé teilzunehmen. „Blick zurück – nach vorn!“ – das „Kloster-Gender-Seminar“ zu Jahresbeginn überzeugte die Teilnehmenden, so dass der neue Termin für ein solches Wochenend-Seminar schon feststeht: 6. bis 8. Januar 2017.
IKG – Frauenreferat