Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst hat dazu aufgerufen, den Kampf gegen sexuellen Missbrauch in der Evangelischen Kirche der Pfalz auf allen Ebenen zu führen. Prävention und Aufarbeitung seien nicht nur Sache der Kirchenleitung, sondern aller Kirchengemeinden und Einrichtungen von Kirche und Diakonie, sagte Wüst am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie zeigte sich erschüttert von den Ergebnissen der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie, die am Donnerstag in Hannover veröffentlicht wurde. Viel zu oft habe die Kirche Menschen, die Schutz gebraucht hätten, im Stich gelassen.
Die Kirchenpräsidentin zeigte sich dankbar für die erste unabhängige und übergreifende Studie zu sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen in der evangelischen Kirche. Demnach ist das Ausmaß von sexualisierter Gewalt mit mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern größer als bisher angenommen. „Die Gewalt, die Menschen in der evangelischen Kirche widerfahren ist, das Wegsehen, das immer wieder stattgefunden hat, das Versagen unserer Kirche und Diakonie in vielen Fällen macht mich fassungslos und erfüllt mich mit tiefer Scham“, sagte Wüst.
Die Evangelische Kirche der Pfalz hat seit dem Jahr 1947 in ihrem Bereich insgesamt 22 Fälle von sexuellem Missbrauch gezählt.19 davon seien strafrechtlich relevant gewesen, sechs Täterinnen und Täter seien verurteilt worden. Insgesamt habe es 49 Verdachtsfälle gegeben. Darin sei die ganze Bandbreite von übergriffigem und distanzlosem Verhalten bis zur Straftat enthalten. Für die ForuM-Studie habe die Landeskirche nur 27 Verdachtsfälle vor allem aus Disziplinarakten gemeldet, darunter Fälle, die sich nicht bestätigt hätten, heißt es.
Die Pfälzer Kirche wolle ihre Schutzmaßnahmen weiter verbessern und das erlittene Unrecht der Betroffenen angemessen anerkennen, sagte Wüst, die auch Sprecherin der kirchlichen Beauftragten im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. „Dazu ist eine Änderung unserer Haltung und Kultur notwendig – in unserer Landeskirche, in all unseren Gemeinden und all unseren Arbeitsbereichen“, sagte die Kirchenpräsidentin. Ob eine von Betroffenen geforderte EKD-Zentralstelle zur Aufarbeitung von Missbrauch für alle 20 Landeskirchen oder eine unabhängige Ombudsstelle nötig seien, müsse nun geprüft werden.
In sieben Missbrauchsfällen in der Pfälzer Kirche waren demnach Pfarrer die Täter, in neun Fällen Erzieherinnen und Erzieher beziehungsweise pädagogisches Personal. Weitere Fälle gebe es in der Kirchenmusik, bei Kirchendienern und ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Nicht alle Täterinnen oder Täter seien verurteilt worden, weil sie unbekannt, verstorben oder die Fälle verjährt seien. Drei Verdachtsfälle seien noch nicht abgeschlossen.
Seit 2019 seien in der Landeskirche in neun Fällen Anerkennungsleistungen zwischen 5.000 und 25.000 Euro an Betroffene von Missbrauch gezahlt worden, Leistungen bis 50.000 Euro seien möglich, sagte Wüst. Ein Gesetz für Landeskirche und Diakonie stelle verbindliche Weichen für die Intervention und Prävention. Bereits seit 2010 gebe es eine Ansprechperson für Betroffene oder die Meldung von Verdachtsfällen.