Die Kirchenhistorikerin Katharina Kunter hat die evangelische Kirche aufgerufen, die Kontakte zur orthodoxen Kirche in der Ukraine auszubauen und die Bürger- und Freiheitsrechte in den Mittelpunkt der Friedensethik stellen. „Über die Kirche können wir die Zivilgesellschaft stärken und damit das Land unterstützen auf dem Weg nach Europa“, erklärte die Dozentin für Kirchengeschichte an der Universität Helsinki am Dienstagabend in Bonn.
Kunter kritisierte eine „immer noch sehr auf einer realitätsfernen Friedenshoffnung mit Russland orientierten Haltung zum Krieg in der Ukraine“ in Teilen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Versuche der EKD wie des Ökumenischen Rates der Kirchen, den Krieg Russlands gegen die Ukraine mit Runden Tischen der orthodoxen Kirchen beiden Länder zu überwinden, seien vielfach gescheitert. Diese Versuche bedienten das russische Narrativ einer Einheit, die es gar nicht gebe. Ein echter Dialog und Brückenschlag zum Moskauer Patriarchat an der Spitze mit dem ehemaligen KGB-Agenten und Putinvertrauten Kyrill I. „sei nach fast zwei Jahren Angriffskrieg Russlands “mehr denn je eine Illusion”.
Die Kirchenhistorikerin kritisierte eine „sehr deutsche Sichtweise“ der evangelischen Kirchen auf den Konflikt, gespeist aus „alten Versöhnungsmodellen der 70er- und 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts“. In vielen Ländern wie Finnland und den Niederlanden seien die protestantischen Kirchen schon lange deutlich klarer in ihrer kritischen Haltung gegenüber Russland. Eine Friedenspolitik, die sich zu sehr an Wünschen orientiere und nicht an der Realität, werde schnell bedeutungslos, sagte Kunter in ihrem Vortrag vor dem Zentrum für Religion und Gesellschaft (ZERG) der Universität Bonn.
Es sei fraglich, ob die Modelle von Kirchendiplomatie des Weltkirchenrates noch ins 21. Jahrhundert passten, sagte die Kirchengeschichtlerin und Ökumene-Expertin weiter. Mehr Hoffnung auf konstruktive Lösungen mache ihr die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), die derzeit versuche, konkret vor Ort in der Ukraine Netzwerke aufzubauen und Kontakte zu stärken. In der KEK haben sich 126 regionale orthodoxe, anglikanische, altkatholische und evangelische Kirchen Europas zusammengeschlossen, etwa die Hälfte davon in Mittel- und Osteuropa.