Zum Ende eines jeden Jahres legen die beiden großen Kirchen einen Rüstungsexportbericht vor. Er informiert über die jüngsten verfügbaren Zahlen – und bezieht Stellung zu aktuellen Fragen.
Die Zahl der Krisen und Kriege scheint beständig zuzunehmen. In Deutschland läuft die Rüstungsproduktion auf Hochtouren. Auch, um das Land “kriegstüchtig” zu machen, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) es formulierte. In ihrem am Mittwoch vorgestellten Rüstungsexportbericht fordern die beiden großen Kirchen mehr Transparenz bei Rüstungsgeschäften. Und stellen manche Deals auf den Prüfstand.
Die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung lässt sich grundsätzlich auf zweierlei Weise betrachten. Zum einen richtet sich der Blick auf die tatsächlich im jeweiligen Zeitraum erfolgten Ausfuhren. Zum anderen liefern die von der Bundesregierung erteilten Einzel- und Sammelausfuhrgenehmigungen Fingerzeige für den Kurs in der Rüstungspolitik. Diese Genehmigungen beziehen sich nicht auf die erfolgten Exporte, sondern auf Waffengeschäfte in der Zukunft.
Kritisch sehen viele Beobachter Geschäfte mit sogenannten Drittstaaten. Das sind Länder außerhalb von Nato und EU oder diesen gleichgestellten Staaten wie Australien.
Über heikle Ausfuhren entscheidet der Bundessicherheitsrat. Diesem Gremium gehören an: der Bundeskanzler, der Chef des Bundeskanzleramts, der Außenminister sowie die sechs Bundesministerinnen und -minister für Finanzen, Inneres, Justiz, Verteidigung, Wirtschaft und Entwicklung.
Im Jahr 2024 genehmigte die Bundesregierung Rüstungsexporte im Wert von 15,69 Milliarden Euro. Diese im Vergleich zu den Vorjahren sehr hohe Summe setzt sich zusammen aus 12,83 Milliarden Euro für Einzelausfuhrgenehmigungen und 197 Millionen Euro für Sammelausfuhrgenehmigungen; dazu kommen 2,66 Milliarden Euro für gemeldete Ausfuhren unter Allgemeingenehmigungen. Dabei handelt es sich um beschleunigte Verfahren, die von Exporteuren in Anspruch genommen werden können, ohne beim Bundesamt für Ausfuhrkontrolle BAFA einen Einzelausfuhrantrag stellen zu müssen.
An Drittstaaten ergingen 2024 Einzelausfuhrgenehmigungen in Höhe von 11,26 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 88 Prozent und stellt eine deutliche Zunahme im Vergleich zum Jahr 2023 dar. Hauptempfängerland 2024 war mit weitem Abstand die Ukraine (8,1 Milliarden Euro), gefolgt von Singapur, Algerien und der Türkei.
Im ersten Quartal 2025 erteilte die Bundesregierung nach vorläufigen Zahlen Einzelgenehmigungen im Wert von rund 1,5 Milliarden Euro. Mit rund 878 Millionen Euro entfiel abermals ein großer Anteil auf Drittstaaten. Hauptempfängerland, sowohl unter den Drittstaaten als auch insgesamt, war in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres ein weiteres Mal die Ukraine mit 573 Millionen Euro.
Tatsächlich ausgeführt wurden im vergangenen Jahr Kriegswaffen im Wert von 4,037 Milliarden Euro. An Drittstaaten gingen Exporte in Höhe von 2,257 Milliarden Euro. Hauptempfängerländer waren hier Südkorea, Singapur und die Ukraine. Global betrachtet bleiben die USA, Frankreich, Russland, China und Deutschland die größten Waffenlieferanten. Die USA und die Westeuropäischen Staaten zusammengenommen sind für 73 Prozent aller Waffentransfers weltweit zwischen 2020 und 2024 verantwortlich.
In den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt leidet die Zivilbevölkerung regelmäßig unter dem Einsatz von Waffen. Während die Ausgaben für Militär zuletzt hochgefahren wurden, sinken sie im Bereich der humanitären Hilfe.
Mit ihrem jährlich vorgelegten Rüstungsexportbericht will die Gemeinsame Konferenz für Kirche und Entwicklung GKKE aber auch für mehr Klarheit in der deutschen Rüstungspolitik sorgen. Immer wieder gibt es Kritik an der Bundesregierung, dass sie die Öffentlichkeit über solche Geschäfte nur unzulänglich informiere.
Erst zu Wochenbeginn kamen in Berlin Spitzenpolitiker zusammen, um über ein mögliches Ende des von Russland begonnenen Krieges gegen die Ukraine zu beraten. Das Land ist in den vergangenen Jahren zu einem der Hauptempfänger deutscher Rüstungsexporte geworden. Der katholische GKKE-Vorsitzende Karl Jüsten sagt dazu: “Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine ist unbestritten, und kluge und verantwortliche Waffenlieferungen sind leider weiterhin wichtig.”
Deutlich kritischer sehen die beiden Kirchen die Ausfuhr von Waffen- und Rüstungsgütern in den Nahen Osten. So halten sie die Aufhebung eines zeitweilig geltenden Embargos von Lieferungen nach Israel für verfrüht. Sie begründen diese Position mit der weiter angespannten Lage im Gazastreifen.
Waffenexporte nach Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate “und in andere Diktaturen im Nahen Osten” sollten nach Ansicht der GKKE-Experten komplett gestoppt werden. Diese führten zu Instabilität in der gesamten Region – “auch mit negativen Folgen für die Sicherheit Israels”.
Einen eigenen Schwerpunkt legt der diesjährige Rüstungsexportbericht der Kirchen auf Waffengeschäfte mit Indien. Rüstungsdeals mit diesem Land seien unter mehreren Aspekten problematisch, so die evangelische GKKE-Vorsitzende Anne Gidion. In der Region Jammu und Kaschmir sowie im Nordosten Indiens komme es zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diskriminierung religiöser und ethnischer Minderheiten hätten in den vergangenen Jahren zugenommen. Bewaffnete Konflikte bestünden in mehreren indischen Bundesstaaten. “Deutsche Waffen könnten potenziell in solchen innerstaatlichen Konflikten eingesetzt werden. Außerdem bestehen angespannte Beziehungen mit Pakistan und China fort”, gab Gidion zu bedenken.
Mehr Schatten als Licht – so lassen sich die von den Autoren des GKKE-Rüstungsexportberichts gemachten Beobachtungen zusammenfassen. Positiv heben sie hervor, dass die schwarz-rote Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU) Kennziffern zu Rüstungsexporten zuletzt schneller veröffentlichte als die Ampel-Regierung unter Olaf Scholz (SPD). Gleichwohl fehlten wichtige Daten für das laufende Jahr.
Kritik übt Max Mutschler vom Internationalen Zentrum für Konfliktforschung Bonn an dem Bestreben, wirtschaftspolitischen Interessen größeren Raum bei Rüstungsexport-Entscheidungen zu geben. Er forderte die Verantwortlichen auf, stattdessen den Aspekten Menschenrechte, Demokratie und Frieden Priorität einzuräumen.
Einstweilen in den Schubladen verschwunden zu sein scheint ein Rüstungsexportkontrollgesetz. Damit sollte erstmalig in der deutschen Geschichte die Rüstungsexportkontrolle der Bundesregierung umfassend gesetzlich festgeschrieben werden. Die Kirchen, aber auch viele Nichtregierungsorganisationen hatten eine solche Regelung in der Vergangenheit immer wieder gefordert.