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Kinderverschickung: Abschlussbericht an Betroffene übergeben

Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) und der Pädagogische Vorstand der Ballin Stiftung, Jens Petri, haben heute den Abschlussbericht zur sogenannten Kinderverschickung an Betroffene übergeben. Beide baten die Betroffenen, die zwischen 1945 und 1980 in Kurheilkliniken psychische und physische Gewalt erlebten, um Entschuldigung, wie die Sozialbehörde am Montag mitteilte. „Die Studie macht deutlich: Es waren keine Einzelfälle. Gewalt war alltäglich“, sagte Schlotzhauer.

Die Studie „Hamburger Kinderverschickungen 1945-1980. Erfahrungen und Hintergründe“ der Evangelischen Hochschule Hamburg des Rauhen Hauses hat die Praxis der Verschickungskuren der Hansestadt in Einrichtungen der Ballin Stiftung untersucht.

Demnach hat die Behörde die Beschwerden von Eltern vernachlässigt und sich mit ihrer Aufsichtsfunktion nicht schützend vor die Kinder gestellt. Dafür „bitte ich im Namen des Hamburger Senats um Entschuldigung“, sagte die Senatorin. Der Abschlussbericht soll „uns allen Ansporn und Appell sein, den Diskurs über Kinderrechte und deren Umsetzung weiter beharrlich voranzubringen, damit Kinder in unserer Gesellschaft ein gutes und gesundes Aufwachsen erleben“, sagte Schlotzhauer.

In Hamburg wurden etwa 120.000 Kinder und Jugendliche zwischen 1945 und 1980 auf ärztlichen Rat von der Hamburger Sozialbehörde zur „Erholung“ oder „Genesung“ verschickt. Offiziell ging es um körperliche „Ertüchtigung“, Auskurieren von Atemwegsinfektionen, Gewichtszunahme und Erholung. Doch in den Heimen waren die Kinder oftmals physischer und psychischer Gewalt, Erniedrigung und Demütigung ausgesetzt. Diese traumatischen Erlebnisse hätten häufig den weiteren Lebensweg negativ beeinflusst, bestätigte die Studie.

Auch in Heimen des Vereins für Kinder- und Jugendgenesung, der 1987 mit der Ballin Stiftung zusammengeführt wurde, belegt die Studie „eine rigide Ausgestaltung“ des Alltags. „Immer wieder wurde von herzloser und harter Behandlung berichtet, vom Zwang aufzuessen, von beschämenden Strafen, Bloßstellungen vor der Gruppe, Misshandlungen, Gewalt und weiterem mehr“, sagte der pädagogische Stiftungsvorstand Petri.

Diese Praktiken habe die Studie bestätigt, sie waren in den Strukturen angelegt, hieß es. „Wir können das leider nicht ungeschehen machen. Aber wir können und wollen uns unserer Vergangenheit stellen, öffentlich machen was passiert ist, das Leid der Betroffenen anerkennen und uns bei ihnen entschuldigen“, sagte Petri. Er hofft, dass die Transparenz und die weitere Beschäftigung mit dem Thema für Betroffene einen Beitrag zur Bewältigung leisten könne.

Um das Schicksal der sogenannten Verschickungskinder in Einrichtungen der Ballin Stiftung und die damalige Rolle der Stadt Hamburg aufzuarbeiten, hatten die Sozialbehörde und die Ballin Stiftung Ende 2020 das Forschungsprojekt in Auftrag gegeben. Die Studie wurde unter enger Beteiligung eines wissenschaftlichen Beirats durchgeführt, dem auch ehemalige Verschickungskinder angehörten. Wesentlichen Anteil an den Ergebnissen der Studie hatten Interviews mit ehemaligen Verschickungskindern.