Schülerbefragungen legen nach Angaben des Kinderschutzbundes nahe, dass 40 Prozent aller Kinder und Jugendlichen Gewalt erleben. Dass es keine exakten Zahlen gebe, habe mit fehlender Forschung und dem großen Dunkelfeld zu tun, sagt die stellvertretende Bundesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes in Berlin, Martina Huxoll-von Ahn. Es sei anzunehmen, dass physische Misshandlung und Kindesvernachlässigung vor allem in der Familie stattfinde, was zu dem großen Dunkelfeld führe.
Gut erforscht sei der Bereich der sexualisierten Gewalt, erläutert Huxoll-von Ahn. Die Mehrzahl der Fälle ereigne sich im familiären Umfeld. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass bis zu einer Million Kinder und Jugendliche in Deutschland bereits sexuelle Gewalt durch Erwachsene erfahren mussten oder erfahren. Das sind rund ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse.
Auch die polizeiliche Kriminalstatistik für 2023 geht bei Kindesmisshandlung von einer hohen Dunkelziffer nicht angezeigter Straftaten aus – „da die Tat in erster Linie in der Familie und im sozialen Umfeld verübt wird und die Opfer noch zu klein und zu hilflos sind, um auf sich aufmerksam zu machen“. Für 2023 verzeichnet die Kriminalstatistik 4.336 Opfer von Kindesmisshandlung, mehr als die Hälfte von ihnen waren Jungen.
Mit Verweis auf die Gefährdungsmeldungsstatistik der Jugendämter geht der Kinderschutzbund davon aus, dass insbesondere sehr kleine Kinder von unterschiedlichen Formen von Gewalt in der Familie betroffen seien. Im August 2023 veröffentliche Zahlen des Statistischen Bundesamts (Destatis) in Wiesbaden zeigen, dass die Jugendämter 2022 bei fast 62.300 Kindern oder Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt festgestellt haben. Geprüft hatten die Jugendämter den Angaben zufolge 203.700 Hinweismeldungen mit Verdacht auf eine mögliche Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen.
Allen Formen der Gewalt sei gemeinsam, „dass das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen Erwachsenen und Kindern per se besteht, ausgenutzt wird“, sagt Huxoll-von Ahn. Familien seien naturgemäß anfällig und mit Blick auf psychische Gewalt zuerst in den Blick zu nehmen. Aber auch in anderen Lebensbereichen von Kindern und Jugendlichen wie Schule und Sport sei Gewalt verbreitet.