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Keine Tat wird ausgeblendet

Zerrüttete Biographien bestimmen den Arbeitsalltag der Gefängnisseelsorgerinnen Uta Klose und Constance Herfeld

Sie sind zwar erfahrene Seelsorgerinnen, aber das Gefängnis zwischen Unna und Soest ist ein Arbeitsplatz wie kaum ein anderer: Mit über tausend Insassen ist es eines der größten Gefängnisse Deutschlands. Dort sind sie täglich mit den Abgründen der menschlichen Seele konfrontiert.

Werl. Der massige Schlüsselbund klirrt am Türschloss. Pfarrerin Uta Klose dreht den Schlüssel und öffnet die schwere Tür, die schon wenige Sekunden später mit einem schmatzenden Geräusch zurück ins Schloss fällt. Ein paar Schritte, dann kommt die nächste Tür; die gleiche Prozedur. Fünfzehn Türen sind es, die die Gefängnisseelsorgerin der evangelischen Kirche von der Pforte bis zu ihrem Büro aufschließen muss; neun weitere bis zur Kirche im historischen Trakt der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl. Hinter jeder Tür bleibt ein Stück Freiheit zurück.

Die meisten Gefangenen bleiben viele Jahre lang

Über tausend verurteilte Männer sitzen hier in einem der größten Gefängnisse Deutschlands ein: Mörder, Vergewaltiger, Diebe, Drogendealer, Räuber – nahezu die komplette Klaviatur denkbarer Verbrechen findet sich in Werl hinter den massiven Zellentüren. Der Großteil der Inhaftierten bleibt einige Jahre hier, einige sogar für immer. Hinzu kommen noch 140 Männer in der Sicherungsverwahrung. Viele von ihnen hält man für so gefährlich, dass sie für immer weggesperrt bleiben.

Man kann sich also eine entspanntere Umgebung für die Arbeit einer Pfarrerin vorstellen. Vor knapp einem Jahr hat Klose die Nachfolge von Adrian Tillmanns angetreten, der in die JVA Bielefeld-Brackwede gewechselt ist. Sie ist als Dekanin leitende Pfarrerin der Gefängnisseelsorge der westfälischen Landeskirche. Mit einer halben Stelle ist Constance Herfeld in der Seelsorge in der JVA Werl tätig und ergänzt damit das Team evangelischer Seelsorge, zu dem auch noch Pfarrer Rolf Stieber gehört.

Verbrechen, die sprachlos machen

Die beiden evangelischen Theologinnen können auf eine langjährige Erfahrung in verschiedenen Justizvollzugsanstalten zurückblicken. Aber Werl ist natürlich noch einmal eine andere Herausforderung; hier blicken sie beinahe täglich in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele. Hier werden sie mit Verbrechen konfrontiert, deren Brutalität und Empathielosigkeit oft sprachlos machen.

Und doch müssen sie Wege und eine Basis finden, um auch mit diesen Tätern ins Gespräch zu kommen, wenn die es wünschen. Herfeld sagt: „Ich möchte in diesen Gesprächen die Taten nicht ausblenden. Und seien sie auch noch so furchtbar. Das würde dem Menschen nicht gerecht, wenn man so tut, als sei nichts passiert.“ Deshalb sei es wichtig, sein Gegenüber immer im Ganzen wahrzunehmen. Und dazu gehören auch die jeweiligen Taten. „Sonst“, so Herfeld, „ist man nicht authentisch und den Gesprächen fehlen Resonanz und Tiefe. Im Grunde kommt dabei die christliche Botschaft stets an ihren Kern.“

Das sieht auch Uta Klose so: „Ich habe kein Problem im Umgang mit den Gefangenen. Man darf vor allen Dingen deren Verantwortung für die begangenen Taten nicht ausblenden. Ich rede deshalb mit allen, die es wünschen, auch über ihre Taten.“ Es gehe vielmehr um die Menschen, die Schuld auf sich geladen haben. Dies sei die große Stärke von Seelsorge: „Man muss den ganz individuellen Geschichten ihren Platz einräumen, auch wenn man nicht immer sofort eine Lösung in petto hat. Ich habe auch nicht den Anspruch, alles lösen zu können.“ Und Constance Herfeld ergänzt: „Wir können nicht immer für alles ein Pflaster parat haben. Manchmal sind auch wir über die Lebensgeschichten und die Taten dermaßen erschüttert, dass es schwerfällt, das auszuhalten.“

Die seelsorglichen Gespräche mit den Gefangenen finden nicht in den Zellen statt (Klose: „Das sind die privatesten Räume, die es in einem Gefängnis gibt“), sondern meistens unter vier Augen im Büro der Pfarrerinnen oder auch im Kirchenraum.
Natürlich ist auch die eigene Angst der Seelsorgerinnen ein Thema, schließlich haben einige Gesprächspartner oft bewiesen, dass ihnen ein Menschenleben nicht viel wert ist. Klose sagt: „Angst ist ein wichtiges menschliches Gefühl und eine gute Signalgeberin. Angst und Ängste muss man sicherlich immer ernst nehmen, aber sie dürfen kein ständiger Begleiter sein, sonst kann man dieser Aufgabe hier nicht gerecht werden.“

Leben mit der Schuld kommt zur Sprache

Jeden Sonntag werden zwei Gottesdienste angeboten, dienstags ein weiterer. Hinzu kommen Gesprächskreise mit Angehörigen oder eine Gruppe wie „Langes Leben“, in der sich regelmäßig Inhaftierte treffen, die eine lebenslange Haftstrafe verbüßen. Klose: „In den Gesprächen, die wir führen, schwingen häufig die Taten mit. Manche leben mit ihrer Schuld – auch mit der Schuld den eigenen Angehörigen gegenüber – 15 oder 20 Jahre lang. Irgendwann kommt dann der Moment, in dem es ein Bedürfnis gibt, darüber zu sprechen. Dann sind wir für sie da.“

Wenn man fast täglich mit zerrütteten Biographien, Gewalt und Verbrechen konfrontiert wird, ist man dann gelegentlich mal wütend auf Gott? Uta Klose denkt einen Moment nach: „Ja, bin ich manchmal. Ich finde dann gute Verbündete in den Psalmen oder Klageliedern, in manchen biblischen Texten. Manchmal verändert sich die Wut schon dadurch, dass sie sein darf. Gut tut mir mein Gefühl, dass Gott meine Wut ganz gut aushalten kann und es erträgt, wenn ich sie ihm vor die Füße werfe.“