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Kein Zimmer frei

In vielen Frauenhäusern fehlen Plätze für Frauen in Not, auch in Duisburg

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In Deutschland wird jede vierte Frau, die in einer Partnerschaft lebt, Opfer häuslicher Gewalt. Schutz findet sie seit rund vierzig Jahren in den Frauenhäusern. Doch es gibt nicht genug Plätze. Im evangelischen Frauenhaus Duisburg musste Leiterin Karin Bartl in diesem Jahr über 300 Anfragen ablehnen. Gemeinsam mit der Diakonie RWL fordert sie eine bessere Finanzierung.
Finanziell ist bei dem rosa Schweinchen in Karin Bartls Büro nichts zu holen. In seinem Bauch stecken keine harten Münzen, sondern weiche Taschentücher. Wohlhabend ist das evangelische Frauenhaus Duisburg nicht. Aber es ist ein freundlicher Ort, an dem die Frauen, die hier mit ihren Kindern seit fast vierzig Jahren Schutz vor ihren gewalttätigen Partnern oder Familien suchen, Trost und Hilfe bekommen. Hier müssen sie ihre Tränen nicht mehr verstecken. Dafür steht das Taschentuch-Schweinchen auf Karin Bartls Tisch.
„Viele Frauen haben Jahre der Angst, Bedrohung und Gewalt erlebt und kommen hier zum ersten Mal zur Ruhe“, erzählt die Leiterin. „Die Kinder fühlen sich von einem großen Druck befreit und leben bei uns richtig auf, weil sie nicht mehr ständig befürchten müssen, dass der Vater die Mutter schlägt.“ Viele sind von der häuslichen Gewalt traumatisiert, aggressiv oder in sich gekehrt. Es tut ihnen gut, wenn sie im Innenhof des Hauses spielen und toben können.
Neun Frauen mit 13 Kindern bietet das Frauenhaus, das vom Evangelischen Christophoruswerk in Duisburg getragen wird, derzeit Schutz. Neben Karin Bartl kümmern sich noch eine Sozialarbeiterin, eine Erzieherin und zwei Hauswirtschafterinnen um die Bewohnerinnen und ihre Kinder. Im Durchschnitt bleiben diese 36 Tage im Frauenhaus. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 70 Frauen und 88 Kinder, die hier Schutz erhielten. Danach gefragt hatten aber viel mehr Menschen. In diesem Jahr musste Karin Bartl schon über 300 Frauen absagen, weil kein Platz im Frauenhaus frei war.
„Manche konnte ich an andere Frauenhäuser verweisen“, erzählt sie. Über das NRW-Fraueninfonetz hat die Sozialarbeiterin Zugriff auf eine Liste mit allen Frauenhausplätzen. Doch die Ampel, die dort anzeigt, wo es freie Zimmer gibt, stehe oft auf rot. Frauen zu vertrösten, gehört inzwischen zum Alltagsgeschäft von Karin Bartl. „Das ist eine unhaltbare Situation“, ärgert sie sich. „Wir müssen Frauen und Kindern, die sich in einer Notlage befinden, eine Absage erteilen. Das würde es in keinem deutschen Krankenhaus geben.“
Die Finanzierung der Frauenhäuser reicht bei Weitem nicht aus. „Wir brauchen mehr Plätze und mehr Personal für von Gewalt bedrohte und betroffene Frauen“, betont Lara Salewski. Als Referentin der Diakonie RWL ist sie zuständig für sieben Frauenhäuser und einige Frauenberatungsstellen in evangelischer Trägerschaft. Insgesamt gibt es in NRW 62 landesgeförderte Frauenhäuser, die 2015 knapp 3800 Frauen aufgenommen haben und über 6600 Anfragen ablehnen mussten. In den insgesamt rund 360 Frauenhäusern bundesweit sieht es ähnlich dramatisch aus.
Dass es an Plätzen im Frauenhaus mangelt, liegt für Lara Salewski und Karin Bartl unter anderem am schwierigen Wohnungsmarkt in den Großstädten. Die Frauen bleiben länger in den Einrichtungen, weil sie kaum noch günstigen Wohnraum finden. Außerdem suchen mehr Migrantinnen und geflüchtete Frauen dort Schutz. Ihnen fehlen oft die sozialen Netzwerke vor Ort, auf die deutsche Frauen zurückgreifen können.
„Migrantinnen brauchen meist eine intensivere Betreuung, denn sie müssen mehr bürokratische Hürden überwinden, haben kein eigenes Geld und sprechen kaum Deutsch“, berichtet Karin Bartl. „Kein Job, kaum Deutschkenntnisse, da winken die meisten Hausbesitzer gleich ab“, so ihre Erfahrung. Im vergangenen Jahr lebten Frauen aus 21 unterschiedlichen Nationen im Frauenhaus. 31 Prozent von ihnen gingen wieder in ihre alte Wohnung und somit zum Täter zurück.
„Einen echten Neuanfang in einer neuen Umgebung mit eigener Wohnung und Job zu schaffen, ist schwer“, beobachtet Karin Bartl. „Die meisten Frauen brauchen nicht nur bei der Wohnungs- und Jobsuche sowie im Umgang mit den Behörden viel Unterstützung, sondern auch wenn es um die Loslösung von ihren gewalttätigen Partnern geht.“ Nicht selten übten diese Druck aus, auch über die sozialen Medien.
Wenn Frauen trotz all dieser Schwierigkeiten der Schritt in ein selbstständiges und gewaltfreies Leben gelinge, sei die Freude groß, sagt Karin Bartl. Viele täten es vor allem für ihre Kinder. „Manchen wird hier zum ersten Mal klar, dass ihre Kinder alles mitbekommen und still ertragen haben. Deren positive Entwicklung motiviert die Mütter, ihnen ein neues Zuhause ohne Angst und Gewalt aufzubauen.“