Manchmal ist der Fortschritt eine Schnecke. Für die katholische Kirche in Deutschland war 2024 nach vielen aufregenden Jahren eine eher ruhige Zeit. Einige negative Trends setzten sich allerdings fort.
Flaute oder Rückenwind? Für die katholische Kirche in Deutschland bleibt 2024 auf den ersten Blick eine recht konturlose Zeit. Keine neuen Enthüllungen von Missbrauchstätern, mühsame Fortschritte bei Aufarbeitung, Prävention und bei der Anerkennung des Leids, fortschreitende Säkularisierung. Doch später einmal könnte sich 2024 als Wende in der kirchlichen Reformdebatte erweisen.
Zwar brachte die Weltsynode in Rom im Oktober nicht die von deutschen Reformkatholiken erhofften Durchbrüche – etwa beim Zugang von Frauen zu kirchlichen Ämtern. Zwar hat sich bei vielen Bürgern der Eindruck verfestigt, dass sich in der Kirche nichts bewegt. Und doch sehen manche Bischöfe und Vertreter des Synodalen Wegs einen Silberstreif am Horizont.
Die vom Abschlusspapier der Weltsynode geforderte Durchsetzung synodaler Beratungen auf allen Ebenen verschaffe dem deutschen Reformprozess Rückenwind, sagt der Bischofskonferenz-Vorsitzende Georg Bätzing. Wer jetzt nochmal sage: Wir warten auf Rom, dem müsse man sagen: “Vorbei! Guck in das Papier – jetzt kommt es darauf an, was wir machen.” Daher werde man in Deutschland ein “nationales synodales Gremium” einrichten.
Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, forderte die Katholiken auf, jetzt die Ärmel hochzukrempeln. “Bereits Mitte Dezember arbeiten wir im Synodalen Ausschuss weiter an der Frage, wie Beteiligungsrechte von Laien und die Rechenschaftspflichten von Bischöfen verbindlich in der katholischen Kirche in Deutschland weiterentwickelt werden können”, erklärte sie. Und Münsters Bischof Felix Genn bestätigte: “Synodalität für alle Ebenen der Kirche ist gesetzt und nicht mehr rückgängig zu machen.” Die Kirche werde sich verändern.
Vier Bischöfe sehen das allerdings nach wie vor anders. In einer im November veröffentlichten Erklärung wiederholen der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sowie die Bischöfe Rudolf Voderholzer (Regensburg), Stefan Oster (Passau) und Gregor Maria Hanke (Eichstätt) ihre fundamentale Kritik. Der deutsche Reformweg sei ein Irrweg – mit einem “parlamentarisch anmutenden Prozess der reinen Mehrheitsbeschaffung”. Sie wollen auch weiterhin nicht am Synodalen Ausschuss teilnehmen, der die Einrichtung eines Synodalen Rates vorbereiten soll.
Unterdessen setzt sich der Mitgliederschwund der Kirche fort, wenngleich nicht auf dem Rekordniveau von 2022. 2023 kehrten 402.694 Katholikinnen und Katholiken ihrer Kirche den Rücken, wie die im Sommer 2024 veröffentlichte aktuelle Statistik auswies. Unter dem Strich nahm die Katholikenzahl in Deutschland um 592.000 ab – wegen des zusätzlichen Sterbeüberschusses von 189.000.
Bei der Kirchensteuer zeichnet sich eine Trendwende ins Negative ab. Erstmals seit Jahren gab es ein Minus. 2023 beliefen sich die Einnahmen der 27 Bistümer auf 6,51 Milliarden Euro. Das waren gut 330 Millionen Euro weniger als 2022. Noch kritischer sieht es aus, wenn man die inflationsbereinigten Kirchensteuereinnahmen betrachtet.
Die Kirche werde Vieles, was sie bislang auch für die Gesellschaft geleistet habe, in Zukunft nicht mehr leisten können, bilanzierte Limburgs Bischof Bätzing in einem im Mai erschienenen Interviewbuch. Ihr stünden deswegen “erhebliche Auseinandersetzungen” und ein “Ringen um Prioritäten” bevor.
Weiterhin in der Schwebe bleiben die Staatsleistungen an die Kirchen. Im Sommer legten die religionspolitischen Sprecher der Regierungsparteien im Bundestag den Entwurf für ein Grundsätzegesetz vor. Es ist Voraussetzung dafür, dass die Länder ihre jährlichen Millionen-Zahlungen an die Kirchen ablösen können. Viele Landesregierungen zeigten sich angesichts des Vorpreschens der Ampelpolitiker not amused. Alle diskutierten Modelle würden die Länder überfordern, hieß es. Fast alle Bundesländer zahlen den Kirchen sogenannte Staatsleistungen, zuletzt mehr als 600 Millionen Euro jährlich. Das sind Kompensationen für frühere Enteignungen von Kirchengütern, insbesondere im 19. Jahrhundert.
Ein wichtiges Thema war 2024 – vor allem angesichts der Landtagswahlen in Ostdeutschland – der Umgang der Kirche mit rechtsextremistischen Positionen. Im Februar veröffentlichte die Bischofskonferenz eine vielbeachtete Erklärung zum völkischen Nationalismus. Darin unterstreichen die Bischöfe, dass die Verbreitung rechtsextremer Parolen mit einem haupt- oder ehrenamtlichen Dienst in der Kirche unvereinbar sei. Ebenso seien “rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern”, für Christen kein Ort der politischen Betätigung. Konkret nannten die Bischöfe die AfD.
Im September legten sie nach und veröffentlichten Leitlinien zum Umgang mit haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Kirche: Niemand werde per se von Ämtern oder Diensten ausgeschlossen, hieß es. Gefordert sei stets eine Einzelfallprüfung, die auch die Verhältnismäßigkeit berücksichtige. Mitentscheidend sei etwa, ob jemand in leitender kirchlicher Position sei oder in einem wertevermittelnden Job. Im gravierendsten Fall droht aber eine Kündigung.
Rechtsverbindlich ist das nicht: Jeder Bischof kann selbst entscheiden, wie er das in seinem Bistum umsetzt. Experten gehen davon aus, dass die Thematik über kurz oder lang auch staatliche Gerichte beschäftigen wird, etwa wenn jemand klagt, dem im kirchlichen Dienst aufgrund eines AfD-Engagements gekündigt wurde.