Frömmigkeit allein reicht nicht, um die Gesellschaft zu verändern, sagt der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Es komme auf das Zusammenspiel von Demokratie, christlichem Menschenbild und sozialer Gerechtigkeit an.
Nach Ansicht des Münchner Kardinals Reinhard Marx sind die Demokratien weltweit einem massiven Stresstest ausgesetzt. Die Kirche müsse dies sehr beunruhigen und sie sei daher aufgefordert, sich immer wieder neu in die gesellschaftlichen Debatten einzubringen, sagte Marx am Donnerstagabend im Münchner Kolping-Haus. “Wir müssen politischer werden, denn die Kirche kann sich nicht gleichgültig gegenüber Staatsformen verhalten.” Anlass war ein Festvortrag zur Feier des Kolping-Gedenktages.
Marx verwies auf Adolf Kolping (1813-1865), den Begründer des Kolping-Werkes. Dieser habe schon im 19. Jahrhundert dazu aufgerufen, dass es Zeit sei zu handeln und zu wirken, “und zwar für jeden ohne Unterschied”. Wenn es Kirchen, Verbänden und Gemeinschaften gelinge, “Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, dann schaffen wir die Voraussetzungen für eine lebendige Demokratie, in der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und die Gleichheit von Mann und Frau gedeihen können”, so der Kardinal.
Zugleich warnte Marx vor der Erwartung, dass “Frömmigkeit allein die Gesellschaft besser machen kann”. Erst das Zusammenspiel von Demokratie, christlichem Menschenbild, sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten schaffe eine Gesellschaft, in der die Würde jedes Einzelnen zur Geltung komme. Die katholische Soziallehre liefere wertvolle Grundlagen und Impulse für ein demokratisches Zusammenleben.
Im Rückblick auf das Jahr 1989 führte Marx aus: “Die Revolution hatte endlich den Kommunismus beseitigt. Ich war überzeugt, dass wir die Diktaturen überwunden haben und dass demokratische Prinzipien, die Menschenrechte und die soziale Marktwirtschaft das Fundament für die Zukunft der Weltgemeinschaft legen werden.” Doch seit einigen Jahren sei die Rückkehr autoritärer Kräfte in Deutschland und Europa zu sehen. Die offene, pluralistische Gesellschaft befinde sich auf dem Rückzug.
Die Politik brauche statt einer rein nationalstaatlichen eine globale Sicht auf die aktuellen Probleme, zeigte sich der Kardinal überzeugt: “Schaffen wir es, weltweit eine Gesellschaft der verantwortlichen Freiheit zu verwirklichen? Ich sage ja, denn diese Form der Freiheit ist tief im christlichen Menschenbild verwurzelt. Die individuelle Würde des Menschen ist die Grundlage unser aller Zusammenleben. Wir sind alle für alle Brüder und Schwestern und damit eine Menschheitsfamilie.”