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Juergen Boos: Es gibt keine flache italienische Literatur

Italien wird Gastland der Frankfurter Buchmesse und Deutsch wird die Gastsprache der Turiner. Das Jahr 2024 steht im Zeichen des deutsch-italienischen Austausches. Juergen Boos, Chef der Frankfurter Buchmesse, spricht mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) über die Bedeutung italienischer Literatur und was diese für ihn besonders macht.

epd: Herr Boos, Italien wird 2024 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sein. Welche italienischen Autoren fallen Ihnen spontan ein?

Boos: Meine erste Stelle hatte ich im Verlag Carl Hanser, dem Verlag von Umberto Eco und Italo Calvino, daher sind mir diese beiden sehr präsent. Eco habe ich auch mehrfach persönlich getroffen. Ich finde seine Bücher faszinierend. Als er in Bologna an der Universität unterrichtete, kam er immer mit einer Klasse auf die Buchmesse nach Frankfurt. Die Begegnungen waren sehr persönlich, weil er auch Deutsch sprach. Als junger Mann habe ich auch die Geschichten von Carlo Fruttero und Franco Lucentini verschlungen, sehr gesellschaftskritische Krimis.

epd: Und was lesen Sie aktuell von italienischen Autoren?

Boos: Ich bin nun in einem Alter, in dem ich anfange, Philosophen und Soziologen zu lesen: Antonio Gramsci zum Beispiel. Und natürlich hat mich interessiert, wer die Biennale leitet, daher habe ich Pietrangelo Buttafuoco gelesen.

epd: 1988 war Italien das letzte Mal Gastland auf der Frankfurter Buchmesse und Ecos Roman „Der Name der Rose“, der damals gerade verfilmt worden war, war in aller Munde. Was hat sich in der italienischen Literaturwelt seitdem getan?

Boos: Ich würde eher fragen: Was ist geblieben? Kennen Sie das Buch von Carlo Feltrinelli über seinen Vater, „Senior Service“? Jetzt schreibt er ein Buch über seine Mutter. Das ist für mich eine italienische Klammer. Man hat immer eine sehr persönliche, aber auch politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung in den Büchern. Das ist geblieben. Ob das die Krimis von Fruttero und Lucentini waren, oder ob das Elena Ferrante ist. Ich habe das Gefühl, es gibt keine flache italienische Literatur.

epd: Drückt sich das, was Sie beschreiben, auch im Motto des Gastlandes aus: Verwurzelt in der Zukunft?

Boos: Am Anfang bin ich etwas erschrocken, als ich das Motto hörte. Ich habe gedacht: Das blickt mir zu sehr zurück. Aber dann habe ich kürzlich noch mal den Gattopardo („Der Leopard“) von Giuseppe di Lampedusa gelesen. Darin sagt er, es muss sich alles verändern, damit es stabil bleibt.

epd: 2024 ist nicht nur Italien Gastland in Frankfurt, Deutsch ist auch die Gastsprache auf der Buchmesse in Turin. 2024 werden in Italien drei Goethe-Institute geschlossen, Genua, Turin und Triest. Neapel soll nur noch von einer Person weitergeführt werden. Wie denken Sie darüber?

Boos: Diese Entscheidung ist ein Drama. Das Goethe-Institut hatte bisher in Italien, wie auch Frankreich, eine sehr gute Präsenz. Ich finde es einfach traurig, dass es nun so kommt. Die Entscheidung ist verbunden mit einer strategischen Neuausrichtung, hin zu Ländern, die man bisher vernachlässigt hat. Das ist verständlich, aber dass es mit einer Abwägung einhergeht, finde ich sehr schade.

epd: Welche Bedeutung haben die Gastländer für die Frankfurter Buchmesse?

Boos: Die Buchmesse wurde 1949 wieder gegründet. Ich glaube, ein entscheidender Faktor, warum sie international geworden ist, war, dass wir in den 1920er Jahren den Exodus hatten: Die Intellektuellen, vor allem jüdische Intellektuelle, sind nach zum Beispiel in die USA und nach Argentinien gegangen. Dadurch wurden dort auch deutsche Autoren veröffentlicht. Das hat sich nun aber gewandelt. Bis in die 1980er Jahre hinein konnten die Großlektoren in New York Deutsch, aber auch Spanisch oder Französisch. Das ist heute oft nicht mehr der Fall. Die Generation, die jetzt die Verlage leitet, kann das nicht mehr.

epd: Wie hoch ist das Interesse der deutschen Leser an italienischen Autoren und umgekehrt?

Boos: Wir tun uns im Moment in beide Richtungen schwer. Ich glaube, in Deutschland ist die Lage etwas besser, weil es hier ein paar ausgewiesene Verlage gibt wie Wagenbach, die dezidiert ein italienisches Programm anbieten. Aber in beide Richtungen ist das nicht viel. Es gibt bestehende Netzwerke, die gut funktionieren, sich austauschen. Sie beruhen auf über Jahrzehnte gewachsene Beziehungen. Aber wer dazu keinen Zugang hat, findet nicht statt. Das wollen wir mit den Begegnungen 2024 neu beleben.

epd: Wo wird neben dem Gastland Italien der Fokus bei der Buchmesse 2024 liegen?

Boos: Wir haben natürlich auch branchenspezifische Themen, wie den Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Da stellen sich viele Fragen: Wem gehört der Inhalt, den eine Maschine generiert? Ist das originärer Inhalt? Das beschäftigt zum Beispiel aktuell schon die Übersetzer sehr. Ich glaube nicht, dass es eine kongeniale Übersetzung von der Maschine geben kann. Übersetzen ist eine kreative Leistung, ein Übersetzer empfindet einen Text nach. Aber wer weiß, wie schnell eine KI so etwas lernen könnte.