In der politischen Debatte nach dem Messerangriff von Aschaffenburg sieht der Mainzer Journalismusprofessor Tanjev Schultz ein „großes Versagen“. Von vielen Politikern sei das Geschehen sofort beurteilt, und es seien Stimmungen verstärkt worden, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch auch die Medien hätten die Pflicht, verantwortungsvoll zu handeln.
Ein „verbaler Aktionismus“ sei nach solchen Ereignissen öfter zu beobachten, in Wahlkampfzeiten „natürlich verschärft“, sagte Schultz. „Es wird der Trauer kein Raum gegeben“, kritisierte er. Zudem werde nicht abgewartet, bis der Sachverhalt feststehe: „Es geht sofort in Richtung einer Agenda.“
Nach Aschaffenburg: “Viel Differenzierung nötig”
Besser wären seiner Ansicht nach politische Äußerungen gewesen, die nicht spalten, sondern die Gemeinschaft betonen, und dass es ein Täter mit einer individuellen Geschichte war. „Hier ist viel Differenzierung nötig“, sagte der Wissenschaftler. „Sogar wenn ein Politiker einen harten Kurs fahren will, sollte er erst mal die Mitmenschlichkeit in den Vordergrund stellen.“
Ethisch verantwortungslos sei etwa die Forderung, dass psychisch Kranke ausgewiesen werden sollen: „So wird Leid nur verlagert“, sagte Schultz. In dieser aufgeheizten Diskurskultur stelle sich die Frage, ob Politiker noch ethischen Kategorien wie der Menschenwürde gerecht werden – „oder ob sie Menschen Unrecht tun, indem sie sie instrumentalisieren“.
Medien dürfen keine falschen Narrative bedienen
Die Medien wollten sich nicht dem Vorwurf aussetzen, irgendetwas zu verharmlosen, sagte der Professor, der auch zu Medienethik forscht. Doch es gehe um journalistische Qualität. Berichterstattung dürfe nicht unterkomplex werden und nur Stimmungen reproduzieren, etwa das falsche Narrativ „Wir gegen die Migranten“.
Am vergangenen Mittwoch hatte ein Mann in Aschaffenburg einen zweijährigen Jungen und einen 41-jährigen Mann getötet sowie drei weitere Personen verletzt. Tatverdächtig ist ein vermutlich psychisch kranker, ausreisepflichtiger 28-jähriger Afghane. Nur Stunden danach hatte eine heftige Debatte über Migrationspolitik voller gegenseitiger Schuldzuweisungen begonnen.