Elf Millionen Tonnen noch genießbare Lebensmittel wandern in Deutschland jährlich in den Mülleimer. Anlässlich der bundesweiten Aktionswoche „Zu gut für die Tonne“, die noch bis zum 6. Oktober läuft, gibt der Lebensmittel-Experte Guido Ritter Tipps, wie sich Lebensmittelverschwendung vermeiden lässt. „Nicht der Handel ist der Ort, wo am meisten weggeschmissen wird, sondern der Haushalt“, sagt der Professor für Ökotrophologie von der Fachhochschule Münster im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Ritter, wie groß ist das Problem der Lebensmittelverschwendung aktuell?
Guido Ritter: Hierzulande werden in den privaten Haushalten jährlich pro Kopf 79 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen, die man noch essen kann. Das sind 60 Prozent dessen, was in der ganzen Kette von der Produktion bis zum Endverbraucher verloren geht. Im Handel sind es in der Summe fünf bis sieben Prozent. Aufgrund der Überproduktion werden etwa 14 Prozent der Lebensmittel in der Verarbeitung verschwendet, falls der Handel die Ware nicht annimmt oder Fehler in der Produktion die Ware nicht verkehrsfähig machen. Ein anderer großer Anteil liegt in der Außer-Haus-Verpflegung mit ungefähr 17 Prozent. Wir gehen immer öfter in Kantinen oder Mensen essen.
Wir haben eigentlich genug Energie und Kilokalorien in Form von Lebensmitteln auf dem Planeten, um alle satt werden zu lassen. Trotzdem haben wir rund 800 Millionen Menschen, die hungern und 1,5 Milliarden Menschen, die übergewichtig sind. Diese Schere, die hier auseinandergeht, hat auch viel mit Lebensmittelverschwendung zu tun. Durch eine bessere Logistik und eine bessere Verteilung können wir es schaffen, dass alle satt werden. Dazu gehört auch, dass wir Lebensmittel wertschätzen und nicht wegwerfen.
epd: Trägt der Handel durch seine Vermarktung der Lebensmittel auch zur Verschwendung bei?
Ritter: Auch wenn der Handel nicht der Ort ist, wo die meisten Lebensmittel verschwendet werden, kommt ihm dennoch eine besondere Verantwortung zu. Im Einzelhandel findet der Abgleich von Angebot und Nachfrage statt. Mit der permanenten Verfügbarkeit und Angeboten, die zu mehr Konsum verleiten, wird ein Überfluss in den Haushalten geschaffen.
epd: Was wird denn besonders häufig weggeschmissen?
Ritter: In Deutschland werden am häufigsten Obst und Gemüse weggeworfen. Das sind Lebensmittel, die nur eine begrenzte Haltbarkeit haben, die wir häufig nicht gut lagern zu Hause und die schnell verderben. Am zweithäufigsten wird Brot entsorgt. Es wird meist noch superfrisch innerhalb von ein, zwei Tagen als Altbrot gehandelt. Jedes fünfte Brot landet leider in Deutschland in der Tonne.
epd: Was sind die Ursachen für diese Verschwendung?
Ritter: Hier in Deutschland wie auch in anderen Industrieländern liegt es am Überfluss. Unglaublich viele Lebensmittel sind permanent verfügbar. Und zwar zu Preisen, die eigentlich nicht wertschätzen, was wir da essen.
Auf der anderen Seite haben wir hier in Deutschland Menschen, die sich nicht gut und gesund ernähren können. Mit der Tafel wurde eine zweite Linie aufgemacht, wo Überfluss-Lebensmittel dann hineinwandern.
Früher war es in Italien so, dass ein Brot, das auf den Boden gefallen war, geküsst und gegessen wurde. Die Symbolik, die in diesem Bild steckt, bringt uns fast die Tränen in die Augen, weil da etwas Wertschätzendes drinsteckt. Während wir teilweise Lebensmittel noch ungeöffnet mit der Verpackung wegwerfen.
epd: Was können Verbraucherinnen und Verbraucher tun?
Ritter: Lebensmittelabfall vermeiden fängt zu Hause bei der Planung des Einkaufs an, um dann im Supermarkt nur das zu kaufen, was man tatsächlich auch kaufen möchte. Und dann ist zu Hause die richtige Lagerung wichtig. Lebensmittel sollten so gelagert werden, dass sie lange verzehrfähig bleiben. Da helfen Kühlung und trockene Lagerung. Die meisten Lebensmittel, die wir bei uns zu Hause haben, sind deutlich länger genießbar, als das, was als Mindesthaltbarkeitsdatum auf den Verpackungen steht. Mehl, Reis, Essig, Gewürze und Kaffee zum Beispiel können sehr deutlich über dieses Datum hinaus verzehrt werden. Anders ist es bei Produkten mit Verbrauchsdatum, die nach dem Ablauf nicht mehr gegessen werden dürfen, wie Hackfleisch, Fisch und vorgeschnittener Salat.
Außerdem ist es wichtig, schon bei den Kindern anzusetzen und ihnen beim gemeinsamen Kochen und dem gemeinsamen Essen zu Hause, in der Kindertagesstätte und in der Schule den Wert von Essen und Ernährung zu vermitteln. Das bedeutet, dass sie lernen, wo die Lebensmittel herkommen, was man damit machen kann und auch, wie man mit Resten umgeht.
epd: Haben Sie weitere Tipps?
Ritter: Mein Tipp ist, grundsätzlich nur die Mengen einzukaufen, die man verbrauchen kann. Im Kühlschrank hilft jedes Grad, das man mit der Kühlung heruntergeht. Es gibt einige Obstsorten, die man nicht miteinander oder zusammen mit anderem Obst und Gemüse lagern sollte. Hier spielen vor allem Bananen und Äpfel eine Rolle, die ein Reifungsgas entwickeln.
Brot kann man portionsweise einfrieren, denn gerade im Sommer ist die Lagerung des Brotes bei Raumtemperatur in der heißen Periode nicht optimal. Wenn man Lebensmittelreste einfriert, sollte man sie gut kennzeichnen, damit man später erkennen kann, was in der Dose ist und wann es eingefroren wurde.
epd: Was könnte sich auf Gesetzesebene tun?
Ritter: Der Gesetzgeber könnte etwas mehr Klarheit schaffen und es vereinfachen, dass übrig gebliebene Lebensmittel weiter genutzt werden können. Zum Beispiel, dass die Tafeln ohne große Probleme gespendete Lebensmittel sammeln können. Er könnte es vereinfachen, dass man ins Restaurant eine Dose mitnehmen kann, um sich die Reste einpacken zu lassen.
Vom Gesetzgeber können auch Rahmenbedingungen gesetzt werden, die helfen, dass wir gesellschaftlich nicht so viel wegwerfen. Aber es hat sich gezeigt, dass das Verbraucherverhalten und das Verhalten der einzelnen Akteure in der Kette noch viel wichtiger sind als die gesetzlichen Rahmenbedingungen.
epd: Was zeigt der Blick ins Ausland? Gibt es dort weniger Lebensmittelverschwendung?
Ritter: Es ist schwierig, gute Beispiel zu finden, weil alle Industrieländer in Europa und Nordamerika damit zu kämpfen haben, dass zu viele Lebensmittel zu billig sind, nicht wertgeschätzt werden und dann in der Tonne landen.
In Frankreich gibt es eine Vereinfachung der Lebensmittelspende. Es gibt dort eine Zwangsverpflichtung für die Händler, überschüssige Lebensmittel an Tafeln oder ähnliche Einrichtungen abgeben zu müssen. Das hat aber dazu geführt, dass es zu viel Lebensmittelabfall bei den Tafeln gegeben hat.
Wir sehen in Europa gesetzgeberisch nicht so gute Beispiele. Insgesamt will die EU die Lebensmittelabfälle bis 2030 um die Hälfte reduzieren. Ich sehe dieses Ziel im Moment aber schwinden. Bis 2030 werden wir das wohl nicht schaffen.