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Jean-Marie Le Pen mit 96 Jahren gestorben

Die ganz großen Ämter blieben ihm verwehrt. Doch bretonische Beharrlichkeit hat ihn alle Niederlagen seines langen Politikerlebens wegwischen lassen. Bis zum Schluss schaute Jean-Marie Le Pen nur in eine Richtung.

Manchmal gibt es Details in einer Biografie, die so sprechend sind, dass man nur staunen kann. 60 Jahre lang konnte Jean-Marie Le Pen nur auf seinem rechten Auge sehen. Auf dem linken war er blind, seit einem Unfall beim Aufbauen eines Wahlkampfzeltes. Tatsächlich hat Jean-Marie Le Pen in seinem langen politischen Leben stets nach rechts geschaut. Nun ist er mit 96 Jahren gestorben, wie seine Familie mitteilte.

Der Begründer des rechtsextremen Front National hat eine Geisteshaltung in den öffentlichen Diskurs eingebracht, die in Europa lange verpönt war – die heute aber fröhliche Urständ feiert. Europafeindlichkeit, Nationalismus und Fremdenhass sind in Mode gekommen. Den Polit-Opa, 2011 von seiner eigenen Tochter Marine Le Pen (56) aufs Altenteil geschoben, dürfte es gefreut haben.

Die ganz großen Ämter sind Jean-Marie Le Pen verwehrt geblieben. Fünfmal trat er für die französische Präsidentschaft an, erzielte seit 1988 stets zweistellige Achtungserfolge und zog 2002 sogar in die Stichwahl ein. Immer aber war er das rechte Schreckgespenst, der Buhmann, man wollte sagen der Bürgerschreck – gäbe es da in der Wählerschaft des Front National nicht auch erkleckliche Teile eines rechtskonservativen Bürgertums.

Geboren am 20. Juni 1928 als Sohn einer Näherin und eines Fischers, wurde Le Pen 1942 zum Kriegswaisen: Sein Vater fuhr mit seinem Boot auf eine Mine. Le Pens bretonische Herkunft und seine Jahre als Fremdenlegionär mögen das ihre zu der vierschrötigen Bollerköpfigkeit beigetragen haben, die den studierten Juristen in seiner langen Karriere auszeichnete. Sie machte es zwar vergleichsweise einfach, ihm in der Sache zu widersprechen. Sie war aber eben auch gepaart mit der fast sprichwörtlichen Beharrlichkeit, vulgo Sturheit der Bretonen.

Irgendwann war den notorischen Provokationen, dem Antiklerikalismus, der ätzenden Islamkritik und dem offenen Antisemitismus Le Pens durch deren Plattheit die Spitze genommen. Nicht weniger als 25 mal wurde er rechtskräftig wegen Rassismus verurteilt. Auch für Frankreichs Bischöfe war seit den 80er Jahren jeder Kontakt mit der Le-Pen-Partei ein “No go”. Die eigene Tochter drängte den Parteigründer schließlich beiseite und zielte mit laizistisch-republikanischen Aussagen verstärkt auf eine bürgerliche Rechte. Ein “neuer” Front National: auch scharf, auch rechtspopulistisch, aber geschickter, “anschlussfähiger”.

Doch die Geschichte wiederholte sich: Marine und ihre Nichte Marion Marechal (35), Lieblingsenkelin Jean-Maries und von dem Rapper Youssoupha als “Enkelin des Teufels” besungen, kratzten schon an den Toren der Macht. Am Ende aber musste sich die FN-Chefin bei den Präsidentenwahlen 2017 (und 2022) dem Überraschungsaufsteiger Emmanuel Macron geschlagen geben. Die interne Arbeitsteilung der Le-Pen-Blondinen zerbrach ebenso wie die Einheit der Partei.

2018 benannte Marine den Front National in “Rassemblement National” (Nationale Sammelbewegung, RN) um – ein Anklang an die fast gleichnamige rechtsextreme Partei RNP, die unter dem Vichy-Regime für eine Kollaboration mit den deutschen Besatzern eintrat. Das wiederum dürfte auch dem geschassten Vater Jean-Marie gefallen haben, der die Konzentrationslager und Gaskammern des NS-Regimes mehrfach als ein “Detail der Geschichte” bezeichnete.

Genug von der Politik hatte er auch nach seinem Rauswurf aus der FN immer noch nicht. 2016 gründete Jean-Marie Le Pen die nationalistische und rechtsextreme Partei Les Comites Jeanne (CJ) und schloss sich mit ihr der europäischen Rechtspartei Allianz für Frieden und Freiheit (APF) an. Im Juli 2019 endete seine 35-jährige Karriere als EU-Parlamentarier, mit 91 Jahren. Im Corona-Januar 2021 heiratete er seine langjährige zweite Ehefrau Jany Paschos (92) auch kirchlich.

Nährboden des neonationalistischen Populismus in Europa ist die Ablehnung der EU als vermutete Agentin einer Globalisierung, die nationale Identitäten vernichte. Das ist am Ende, was alle drei Le-Pen-Generationen trotz aller Differenzen verbindet: “Wir wollen kein Multikulti – wir wollen blau-weiß-rot!”