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Je weiter, je besser

Leben mit behinderung Eine Unterart der Spastik sorgt bei Dirk Pfeiffer dafür, dass er seine Extremitäten kaum kontrolliert bewegen kann. Er hat sein Schicksal akzeptiert und gestaltet sein Leben. Seine Leidenschaften: funken, Computertechnik und segeln

Der schwarze Kasten auf dem Schreibtisch rauscht und piept. Zwischendurch werden die Geräusche von einer Stimme unterbrochen. Dann rauscht es wieder. Dirk Pfeiffer sucht nach einem Gesprächspartner. „CQ DL1EEZ“, ruft er ins Mikrofon seiner Funkstation. Funker haben ihre eigene Sprache. „CQ“ bedeutet etwas wie „Hallo, ich suche jemanden“. DL1EEZ ist Dirks Name in der Welt der Funkamateure. Niemand antwortet. Seine Funkstation steuert er mit dem rechten Fuß. Was andere mit der Hand machen, muss bei ihm der Fuß erledigen.
Dirk Pfeiffer sitzt im Büro seiner kleinen Wohnung in Volmarstein. Aus den Boxen seiner Stereoanlage schallt „I can‘t dance“ von Genesis. Phil Collins kann das Rauschen der Funkstation jedoch nicht übertönen.

Großes Interesse an der Funktechnik

„Durch das Internet fehlt uns Amateurfunkern der Nachwuchs“, stellt er fest, während er verschiedene Frequenzen nach interessanten Gesprächspartnern absucht. „Junge Leute chatten lieber, als mit anderen per Funk zu sprechen“, fügt er hinzu. Die Funktechnik begleitet ihn schon seit seiner Jugend: „In meiner Kindheit bin ich häufiger beim Spazieren­gehen an einer Antennenanlage vorbeigekommen und war total fasziniert von der Technik, die dahintersteckt. Die Antenne zog mich magisch an.“ Der Besitzer der Antenne, ebenfalls ein Funkamateur, bemerkte das Interesse und bot Dirk an, ihm seine Funkstation zu zeigen. „Von diesem Moment an war klar, dass ich das auch mal machen will“, erzählt Dirk mit leuchtenden Augen. Heute besitzt er selbst eine sechs Meter hohe Antenne, die auf dem Dach seines Hauses installiert ist. „Ich habe mal mit jemandem aus Neuseeland gefunkt. Das ist bis heute mein absoluter Reichweitenrekord.“
Aufgewachsen ist Dirk in Meerbusch-Ilverich in der Nähe von Düsseldorf. Seit seiner Geburt kann er seine Extremitäten kaum kontrolliert bewegen. Aufgrund einer Athetotik, einer Unterart der Spastik, werden die Befehle seines Gehirns nicht richtig an die Gliedmaßen übermittelt. Nur sein rechter Fuß ist nicht so stark betroffen. Mit ihm steuert Dirk nicht nur seinen Elektro-Rollstuhl, sondern auch den Computer. Dafür benutzt er eine spezielle Fußtastatur.
Dirk manövriert den Rollstuhl gekonnt durch seine Wohnung. Doch die Spastik hat auch Auswirkungen auf seine Artikulation und Aussprache. Seine Gesprächspartner müssen sich sehr konzentrieren, um alles zu verstehen. Gerade beim Funken ist dies ein Hindernis, doch Dirk geht gelassen damit um: „Wenn ich früher mit jemandem gefunkt habe, wurde ich oft gefragt, ob ich betrunken sei. Ich habe denen dann einfach gesagt, dass ich behindert bin.“ Durch das ständige Sprechen beim Funken habe sich seine Artikulation allerdings enorm verbessert, findet Dirk.
„Früher war ich oft traurig und deprimiert“, sagt Dirk, während er mit seinem Fuß den Lautstärkeregler seiner Musikanlage bedient. „Im Keller gehockt und geweint hab‘ ich aber nie“, stellt er klar. Er betrachtet seine Behinderung als eine gottgegebene Aufgabe, mit der er zurechtkommen muss: „Zum Glück hat Gott mir aber Menschen gegeben, die mir dabei helfen.“ Seine Familie hat Dirk immer unterstützt, vor allem seine Mutter. „Sie hat sich extra für mich ein enormes therapeutisches Wissen angeeignet und mit mir viele Übungen gemacht“, sagt er und ergänzt grinsend: „Manchmal bedaure ich, dass ich damals, wie jedes andere Kind auch, nicht immer auf meine Mama gehört habe.

Nach der Scheidung der Eltern: Volmarstein

Ich hätte wahrscheinlich noch einiges mehr lernen können.“ In die Kirche geht Dirk selten, aber er betet sehr viel: „Ich bedanke mich häufig. Ich glaube, dass viele das Leben als zu selbstverständlich ansehen. Es wird erst gebetet, wenn etwas Schlimmes passiert.“
Dirk kam ins Internat nach Volmarstein, nachdem sich seine Eltern scheiden ließen und seine Mutter wieder arbeiten ging. „Ich bin 1980 hierher gezogen. In den ersten zwei bis drei Jahren hatte ich ziemliches Heimweh, obwohl meine Mutter mich jedes Wochenende abgeholt hat“, erzählt Dirk. Mit der Zeit habe er sich aber an seine neue Umgebung gewöhnen können. Die Schule schloss er mit der Fachoberschulreife ab. „Als ich neu in der Schule war, kam ich erst in die Gruppe mit den Lernbehinderten, aber die Lehrer haben schnell begriffen, dass ich ganz schön was in der Birne habe“, meint er und lacht. Auch nach seinem Schulabschluss werden Dirks Fähigkeiten unterschätzt. „Zuerst war ich in der Behindertenwerkstatt angestellt und musste Tüten zählen.“ Mittlerweile arbeitet Dirk seit 20 Jahren für den Betrieb Orthopädische Schuhtechnik. Er erledigt Abrechnungen und ist Systembetreuer für ihr Abrechnungsprogramm.
Seinen enormen Wissensdurst stillte Dirk damals, indem er sich intensiv mit Funktechnik auseinandersetzte. Nach acht Monaten intensiver Vorbereitung fuhr Dirk 1986 nach Oberwesel, um seine Lizenzprüfung abzulegen und endlich selbst funken zu dürfen.
Doch ihn begeistert nicht nur die Funktechnik, sondern auch das Programmieren seines Computers. „Ich habe 1988 meinen ersten PC mit einer Fußtastatur bekommen und ein halbes Jahr später konnte ich schon Datenbanken schreiben. Das habe ich mir alles selbst beigebracht.“ Damals war Dirk für die Urlaubskartei zuständig. Mit von ihm programmierten Datenbanken hat er entscheidend dazu beigetragen, dass viele Abläufe in der Stiftung Volmarstein digitalisiert werden konnten.
Neben dem Funken ist Segeln eine von Dirks Lieblingsbeschäftigungen. „Auf einem Boot müssen alle an einem Strang ziehen“, sagt er und fügt hinzu: „Da ist es egal, ob jemand behindert ist oder nicht. Alle können nicht weg und müssen miteinander auskommen und zusammenarbeiten.“ Seitdem er 1997 mit der evangelischen Jugend Dortmund auf einem behindertengerechten Boot im Ijsselmeer in Holland segelte, war ihm klar, dass es so etwas auch in Deutschland geben muss: „Die Erfahrungen, die man auf dem Wasser machen kann, sind so überwältigend, dass jeder mal die Chance haben sollte, das zu erleben.“

Eine überwältigende Erfahrung: segeln

Ein Jahr später gründete die evangelische Jugend Dortmund den Verein „Sail Together“, der Segeltörns für Menschen mit und ohne Behinderungen anbietet. „Seit 2011 haben wir unser eigenes Boot auf dem Phönixsee in Dortmund“, erzählt Dirk stolz.
Plötzlich kommt eine Stimme aus dem Empfangsgerät der Funkstation. Ein Kolumbianer fragt, ob jemand da sei. Dirk antwortet und fragt, wie gut die Verbindung sei. Doch sein Gesprächspartner ist schon wieder weg. „Das macht mir nichts aus. Beim Funken geht es nicht nur darum, lange Gespräche zu führen. Es ist die Faszination an der Technik und der Reichweite, die mich antreibt.“