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Ja zum Streit über den richtigen Weg

Auszüge aus der Einleitung zur EKD-Denkschrift von 1985

„Als evangelische Christen in der Bundesrepublik Deutschland neh­men wir auf vielfältige Weise am Leben und an der Gestaltung unseres demokratischen Staates teil. Daß wir in einem freiheitlichen demokra­tischen Rechtsstaat leben, ist weithin selbstverständlich geworden. Diese Denkschrift soll über die Zustimmung zu dieser Demokratie und das Eintreten für sie Rechenschaft ablegen. Damit sollen die Glie­der unserer Kirche auf den Wert der demokratischen Ordnung für uns Christen hingewiesen und ermutigt werden, sich für das demokratische Gemeinwesen zu engagieren.
Was hier über Staat und Demokratie ausgeführt wird, gilt dem Staat des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Staat und Demokra­tie sind nicht eine Angelegenheit allein der Bundesrepublik. Aber uns ist dieser Staat angeboten. In ihm haben wir unsere Aufgaben. Ange­sprochen sind deshalb die evangelischen Christen als Bürger der Bun­desrepublik. (…)
Es gibt mehrfachen Anlaß zu einer Denk-Schrift über die evangelische Kirche und den freiheitlichen demokratischen Staat.
– Die geschichtlichen Erfahrungen, die uns Deutsche belasten, sind eine bleibende Mahnung. Hitler kam 1933 an die Macht, nicht weil die Nationalsozialisten schon in der Republik von Weimar so zahl­reich geworden wären, sondern weil es nicht genug Demokraten gab, die den unschätzbaren Wert der Weimarer Verfassung erkannt hät­ten und sie zu verteidigen bereit gewesen wären. Dieses Urteil gilt rückblickend auch für den deutschen Protestantismus und die evan­gelische Kirche. Sie waren nicht unerheblich in den Nationalsozialis­mus verstrickt. (…)
– Auseinandersetzungen um die richtigen Wege gehören zum Wesen der Politik. Die politischen Streitfragen haben dabei unterschiedliches Gewicht. Gegenwärtig sind besonders schwierige Probleme mit unabsehbarer Tragweite ihrer weiteren Entwicklung im Streit – wie die Friedenspolitik im Zeitalter atomarer Bedrohung, die Umweltpo­litik, langfristige Entscheidungen in der Energie- und Rohstoffver­sorgung angesichts begrenzter Vorräte oder die strukturelle Arbeits­losigkeit im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Nutzung neuer Technologien. (…)
– Selbstkritisch wird angesichts derartiger Konflikte die Entwicklung unserer Demokratie in den fast vierzig Jahren ihres Bestehens betrachtet. Nach dem Willen des Grundgesetzes hält sie zwar keine Lösungen, wohl aber Lösungswege bereit, die ihre besondere Stärke ausmachen können: Der Streit um den politischen Weg und um die Weiterentwicklung der Demokratie ist nicht nur zugelassen; er soll durch Verfahren zur Organisation der Auseinandersetzung aus­drücklich gefördert werden.“