„Als evangelische Christen in der Bundesrepublik Deutschland nehmen wir auf vielfältige Weise am Leben und an der Gestaltung unseres demokratischen Staates teil. Daß wir in einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat leben, ist weithin selbstverständlich geworden. Diese Denkschrift soll über die Zustimmung zu dieser Demokratie und das Eintreten für sie Rechenschaft ablegen. Damit sollen die Glieder unserer Kirche auf den Wert der demokratischen Ordnung für uns Christen hingewiesen und ermutigt werden, sich für das demokratische Gemeinwesen zu engagieren.
Was hier über Staat und Demokratie ausgeführt wird, gilt dem Staat des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Staat und Demokratie sind nicht eine Angelegenheit allein der Bundesrepublik. Aber uns ist dieser Staat angeboten. In ihm haben wir unsere Aufgaben. Angesprochen sind deshalb die evangelischen Christen als Bürger der Bundesrepublik. (…)
Es gibt mehrfachen Anlaß zu einer Denk-Schrift über die evangelische Kirche und den freiheitlichen demokratischen Staat.
– Die geschichtlichen Erfahrungen, die uns Deutsche belasten, sind eine bleibende Mahnung. Hitler kam 1933 an die Macht, nicht weil die Nationalsozialisten schon in der Republik von Weimar so zahlreich geworden wären, sondern weil es nicht genug Demokraten gab, die den unschätzbaren Wert der Weimarer Verfassung erkannt hätten und sie zu verteidigen bereit gewesen wären. Dieses Urteil gilt rückblickend auch für den deutschen Protestantismus und die evangelische Kirche. Sie waren nicht unerheblich in den Nationalsozialismus verstrickt. (…)
– Auseinandersetzungen um die richtigen Wege gehören zum Wesen der Politik. Die politischen Streitfragen haben dabei unterschiedliches Gewicht. Gegenwärtig sind besonders schwierige Probleme mit unabsehbarer Tragweite ihrer weiteren Entwicklung im Streit – wie die Friedenspolitik im Zeitalter atomarer Bedrohung, die Umweltpolitik, langfristige Entscheidungen in der Energie- und Rohstoffversorgung angesichts begrenzter Vorräte oder die strukturelle Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Nutzung neuer Technologien. (…)
– Selbstkritisch wird angesichts derartiger Konflikte die Entwicklung unserer Demokratie in den fast vierzig Jahren ihres Bestehens betrachtet. Nach dem Willen des Grundgesetzes hält sie zwar keine Lösungen, wohl aber Lösungswege bereit, die ihre besondere Stärke ausmachen können: Der Streit um den politischen Weg und um die Weiterentwicklung der Demokratie ist nicht nur zugelassen; er soll durch Verfahren zur Organisation der Auseinandersetzung ausdrücklich gefördert werden.“
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Ja zum Streit über den richtigen Weg
Auszüge aus der Einleitung zur EKD-Denkschrift von 1985