Als „Revoluzzerin“ will sich Pastorin Hanna Jacobs nicht verstanden wissen. Sie fordere schließlich nicht die Abschaffung aller 10-Uhr-Gottesdienste am Sonntag, stellt Jacobs klar, die bei der Diakonie Himmelsthür in Hildesheim arbeitet. „Da, wo es gut läuft, soll man ihn feiern. Aber da, wo nichts hilft, soll man andere Lösungen suchen.“
Die 36-jährige Theologin ist längst nicht die einzige, die ein beherztes Umdenken für notwendig hält. Sogar Landesbischof Ralf Meister hat in Bezug auf den Sonntagsklassiker von einem „Auslaufmodell“ gesprochen. Es gebe eine „Glaubwürdigkeitskrise bei den klassischen Formen, in denen wir von Gott erzählen“, sagte Meister gegenüber dem Evangelischen Pressedienst.
Hat der Sonntagsgottesdienst Zukunft?
— Evangelische Zeitung (@Evangelische) July 31, 2024
Zugleich hat er die Gemeinden ermutigt, ihre Freiheit zu nutzen und neue Formen auszuprobieren. Manches junge Format sei erfolgreicher als der vermeintliche Dauerbrenner, betonte der Landesbischof. „Jesus ist doch nicht durch Galiläa gezogen und hat gesagt, ‚Sonntags um 10 Uhr müsst ihr kommen und beten‘.“
Nur zwei Prozent der Kirchenmitglieder gehen sonntags in den Gottesdienst
Wie angeschlagen der klassische Gottesdienst ist, belegt die jüngste EKD-Statistik. Nur noch rund zwei Prozent der Mitglieder der Landeskirche Hannovers gehen sonn- oder feiertags in die Kirche (Stand: 2022). Vor der Corona-Pandemie waren es noch knapp drei Prozent.
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Pastorin Jacobs will sich mit dieser Entwicklung nicht abfinden. „Die Menschen kommen nicht mehr von allein zu uns,“ sagt Jacobs und fragt: „Welche Angebote haben wir für die anderen 98 Prozent?“ Doch um zu denen mehr Kontakt aufzubauen und neue Angebote zu entwickeln, müsse man sich Zeit freiräumen und mit Gewohnheiten brechen. Denn die Ressourcen seien begrenzt, so die Pastorin und Zeit-Kolumnistin. „Man kann es schlimm finden, dass sich die Leute die Rosinen rauspicken. Man kann aber auch selber Rosinenkuchen anbieten.“
Tauffeste und spontane Trauungen: Vielfalt der Gottesdienstformen steigt
Allerdings würden es nicht alle so gelassen sehen, sagt Jacobs. Es seien vor allem ältere Menschen, die aus der klassischen Liturgie Kraft schöpfen. Für sie habe der Gottesdienst einen Wert an sich.
Eine Empfehlung, wie die Gemeinden mit dem 10-Uhr-Gottesdienst verfahren sollen, gibt die Landeskirche nicht. „Die Gemeinden haben selbst das beste Gespür dafür, was die Menschen brauchen und welche Angebote den besten Zuspruch haben“, sagt Rebekka Neander, eine Sprecherin der Landeskirche Hannovers. Und so würden Gottesdienste mittlerweile in großer Vielfalt gefeiert. Die neuen Angebote wie Tauffeste, Blitzhochzeiten oder Gottesdienste zur Einschulung hätten allerdings großen Zulauf.