Der deutsch-schweizerische Islamwissenschaftler Reinhard Schulze sieht im Nahost-Krieg eine wachsende Tendenz, Religion als Rechtfertigung zu nutzen. Vor allem der Iran verbinde in seiner Propaganda religiöse Heilsversprechen mit politischen Machtansprüchen, sagte der emeritierte Professor der Universität Bern im Deutschlandfunk. Auch innerhalb des iranischen Herrschaftssystems habe die religiöse Komponente immer mehr Macht gewonnen; obwohl die Mehrheit der Iraner einen großen Einfluss der Religion auf ihr Leben ablehne, habe sich das Land immer stärker in Richtung religiöser Diktatur entwickelt.
Außenpolitisch gehe es dem schiitisch geprägten Iran in erster Linie um Jerusalem, von wo der “Imam Mahdi”, also der Messias der Muslime, erwartet werde. Die iranische Führung versuche den Eindruck zu erwecken, den gegenwärtigen Krieg im Namen des Islams zu führen. Zwar habe es in den vergangenen Monaten eine leichte Annäherung zu den sunnitisch geführten islamischen Staaten gegeben. Mittlerweile stehe das Land aber auch innerhalb der islamischen Welt wieder weitgehend isoliert da.
Israel: Radikale Parteien mit populistischer Rhetorik
Mit Blick auf Israel verwies der Nahostexperte darauf, dass auch Premier Benjamin Netanjahu Bibelverse und biblische Personen zur Rechtfertigung seines Kurses herangezogen habe. Das religiöse Feld werde auch im jüdischen Staat immer stärker in populistische Rhetorik gefasst – vor allem von den radikalen Parteien.
Schulze kritisierte in diesem Zusammenhang eine Schwäche der großen Religionen, ihr Friedenspotenzial zu nutzen. Sie setzten sich viel zu leise gegen Versuche zur Wehr, politisch für Konflikte instrumentalisiert zu werden.