Ein Bann wie aus finsteren Zeiten: Die türkische Regierung verbietet Koranübersetzungen, die “im Widerspruch zu den Grundprinzipien des Islams” stehen. Ein Frankfurter Koranexeget hält dies für ein Rückzugsgefecht.
Das neue Gesetz für ein Verbot missliebiger Koranübersetzungen in der Türkei soll aus Sicht des muslimischen Theologen Ömer Özsoy einen wachsenden Einfluss islamischer Reformansätze schwächen. Dahinter stünden mutmaßlich religiöse Orden und Gemeinschaften, “die sich im letzten Jahrzehnt offen gegen die wissenschaftliche, kritische und pluralistische Theologie an den islamisch-theologischen Fakultäten wenden”, sagte Özsoy der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag. Der Professor für Koranexegese an der Universität Frankfurt sieht als Grund für den Schritt, “dass das von innovativen, reformorientierten und kritisch denkenden Theologen entwickelte Religionsverständnis zunehmend an Resonanz gewinnt, insbesondere bei der jungen Generation”.
Özsoy äußerte die Sorge, dass das Gesetz in einer engen und repressiven Auslegung breit angewendet werden könnte. Seit Jahren versuchten die beteiligten Kreise, führende Theologen öffentlich zu diskreditieren, zum Rücktritt oder in den Ruhestand zu drängen. “Andererseits unternehmen sie gezielt Anstrengungen, die theologischen Fakultäten personell und curricular unter ihre Kontrolle zu bringen. Man muss leider sagen, dass sie auf beiden Feldern bislang durchaus erfolgreich waren.” Übersetzerkollegen berichteten bereits, dass das türkische Religionsamt Diyanet offenbar Vorbereitungen getroffen habe, um zwölf Übersetzungen zu beschlagnahmen.
Laut dem am Mittwoch beschlossenen Gesetz kann die Behörde in Ankara ab sofort alle türkischen Koranausgaben verbieten, beschlagnahmen und vernichten lassen, die “im Widerspruch zu den Grundprinzipien des Islams” stehen. Kritiker sprachen von einer Inquisition und einer religiösen Diktatur. Özsoy zeigte sich aber überzeugt, dass das Verbot von Koranübersetzungen aus dem arabischen Original letztlich dazu führen werde, das Interesse an den jeweiligen Ausgaben weiter zu steigern. “Es ist heute schlicht nicht mehr möglich, den Zugang zu Informationen wirksam zu unterbinden.”