Muslime und Christen haben den Einfluss des Internets auf die Religion hervorgehoben. „Religiöse Praktiken und Überzeugungen werden durch die Digitalität geformt“, sagte die Frankfurter Professorin für die Ideengeschichte des Islams, Armina Omerika, am Mittwoch auf einem „Tag des Dialogs“ in Frankfurt am Main. Religiöse Rituale breiteten sich zunehmend im digitalen Raum aus.
Dies rufe neue Fragen hervor, so Omerika: „Muss man rituell rein sein, um online den Koran lesen zu dürfen? Ist eine Online-Moschee ein sakraler Ort? Muss ich die Schuhe ausziehen, bevor ich eine Online-Moschee besuche?“ Darüber gebe es unter Muslimen eine lebendige Auseinandersetzung.
Die junge Generation muslimischer Frauen gehe kaum noch in Moscheen, sagte Omerika. Islamischen Religionsunterricht gebe es nur vereinzelt an Schulen, religiöse Bildung finde vor allem im Internet statt. Doch dort stelle sich die Frage nach der Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit. Nicht die gebildeten Theologen erreichten die meisten Nutzer, sondern diejenigen Prediger, die die Plattform-Techniken der Reichweite geschickt anwendeten. Sowohl marginalisierte muslimische Gruppen, etwa queere Muslime, nutzten gezielt digitale Räume als auch patriarchal eingestellte Vertreter, die sich gegen Gleichstellung und geschlechtliche Vielfalt wendeten.
Auch unter Christen führten die digitalen Techniken zu neuen Fragen, sagte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung. „Entwickeln sich im Internet eigene Kirchengemeinden? Gibt es ein digitales Abendmahl? Darf ein Roboter mit künstlicher Intelligenz getauft werden?“ Die Präsentation eines Segensroboters auf der Weltausstellung zum Reformationsjubiläum in Wittenberg 2017 habe strittige Debatten zur Frage der Personalität ausgelöst. Es sei angesichts der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz „offen, ob der Unterschied zwischen Mensch und Maschine so klar bleibt oder nicht“, fügte Jung hinzu.
Im Internet präsentiere sich ein äußerst buntes Feld an Religiosität, sagte die Frankfurter Professorin für Religionspädagogik und Mediendidaktik, Viera Pirker. Dies reiche von in Talar tanzenden Pastorinnen über öffentliche Beichten und Vergebungsbitten bis hin zu Dämonenaustreibungen ohne Priester auf Tiktok und Insta Live. Manche Influencerinnen und Influencer mit Millionenpublikum thematisierten den Glauben, so Lena, Jeremy Fragrance oder The Real Life Guys. Das Spektrum liege zwischen konservativ und liberal.
Die interreligiöse Fachtagung unter dem Titel „Wie real ist virtuell? Mensch-Sein in und mit den digitalen Welten“ wurde veranstaltet vom Zentrum Oekumene der evangelischen Landeskirchen in Hessen. Kooperationspartner waren das Zentrum für Islamische Studien Frankfurt/Gießen, die Islamische Theologie an der Universität Gießen und das Diözesanbildungswerk des Bistums Limburg. Das Hessische Kultusministerium förderte die Tagung.