Der Reichtum und die Vielfalt unseres kirchlichen Kulturerbes werden für die christlichen Gemeinschaften zunehmend zur Belastung. Kirchenbauten, Pfarrhäuser, Gemeindezentren und Klöster in Zeiten schrumpfender Gemeinden und sich wandelnder Spiritualität zu bewahren und zu nutzen, erfordert dringend neue Ideen und Wege. Das Verdikt „ungenutzte Kirche“ trifft inzwischen nicht mehr nur die Bauten der Nachkriegszeit, sondern auch „traditionelle“ Kirchenbauten, die seit Jahrhunderten unsere Ortsbilder und Stadtsilhouetten prägen.
Breite Debatte ist notwendig
Die öffentliche Hand schweigt zu den offen diskutierten Szenarien der Reduzierung der Kirchenbauten – will sie doch nicht selbst in die Pflicht genommen werden. Der Verlust von stadt- und landschaftsprägenden Kirchen, bisher Wahrzeichen ihrer Stadt und Identifikationspunkt der Menschen, würde unsere Städte und Dörfer wesentlich verändern. Daher brauchen wir eine breite Debatte über neue Formen der Nutzungen und Trägerschaft, um Kirchenbauten als Gemeingüter zu sichern. Denn wir alle haben ein Recht auf Teilhabe am kulturellen Erbe und tragen Verantwortung dafür.
Zweite Säkularisation abwenden
Dazu hat sich eine bundesweite Initiative mit einem Kirchenmanifest zu Wort gemeldet, das Kirchen deutlich als Gemeingut definiert. Was Generationen gläubiger, großzügiger und genialer Menschen über Jahrzehnte an kunstvollen Bauwerken und kostbarem Inventar geschaffen haben, darf dieser Überzeugung nach nicht aufgegeben werden. Die zunehmende Sorge vor Abriss und Verlust vereint aktive Kirchenmitglieder und erklärte Kirchenkritiker, Theologen, Denkmalpfleger, Architekten und Bürger. Sie vereint die Überzeugung, dass Kirchenbauten und Kirchenkunst Gemeingut sind, dass Kirchenräume mehr wert sind als ihre Grundstückspreise und eine gemeinsame gesellschaftliche Anstrengung den drohenden Verlust einer zweiten Säkularisation abwenden muss.
Die Bürgergesellschaft hat in ihrer ganzen Vielfalt die Möglichkeit, sich in eine solche Diskussion auf Augenhöhe einzubringen – und auch Verantwortung zu übernehmen, wenn diese von den bisherigen Sachwaltern aufgegeben wird. In einer offenen und freien Gesellschaft ist sie dazu in der Pflicht, gegenüber früheren und gegenüber kommenden Generationen.
Die Initiative vereint ebenso die Überzeugung, dass Kirchen als originär offene und öffentliche Räume großes Potenzial haben. Lokale Initiativen haben bereits mit Gemeinden Nutzungsergänzungen und Nutzungserweiterungen für Kirchenbauten erarbeitet. Als sogenannte Dritte Räume stehen sie als nicht kommerzielle Orte für kulturelle und gemeinschaftliche Erlebnisse offen. Zentral gelegen und schon längst etablierte Bestandteile der sie umgebenden Gesellschaft bieten Kirchenräume als radikal öffentliche Räume einen echten Mehrwert.
Neue Formen der Trägerschaft
Der Aufruf, der neuen Lage mit neuen Formen der Trägerschaft zu begegnen, geht einher mit dem Aufruf zu einer breiten öffentlichen Debatte über Öffnungen, Nutzungen und Nachhaltigkeit. Denn über Jahrhunderte haben sich Kirchenbauten im sorgsamen Umgang mit Baustoffen sowie kontinuierlich geübter Reparatur, Weiterbau und Umbau entwickelt. Als Speicher von CO2-Emissionen entlasten sie heute das Klima. Kirchen bieten – allein durch ihre Größe – kühle öffentliche Räume in unseren sich immer stärker erhitzenden Städten. Alles andere als ein Paradigmenwechsel von Abriss und Neubau hin zu Weiternutzung und Umbau wäre unverantwortlich.
Nichts weniger als die Zeugnisse unserer christlichen Kultur stehen auf dem Spiel – und wir alle sind eingeladen, bei ihrer Rettung dabei zu sein!
Ursula Schirmer ist Pressesprecherin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD).