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In Berlin ist die 75. Berlinale zu Ende gegangen

Als Jubiläumsausgabe und zugleich erster Jahrgang unter der Leitung von Tricia Tuttle hatte die 75. Berlinale einige Erwartungen geschürt. Doch von Glanz konnte bei der Festivalausgabe 2025 keine Rede sein.

Im Wettbewerb der 75. Berlinale gehörten “Blue Moon” von Richard Linklater und “O ultimo azul” von Gabriel Mascaro zu den meistbeachteten Werken. Linklater als prominentester Name unter den eingeladenen Filmemachern, Mascaro als wohl größte Entdeckung. Wenig überraschend zählten beide Beiträge am Ende auch zu den Gewinnern der internationalen Jury unter dem Vorsitz des US-Regisseurs Todd Haynes. Mascaro gewann deren “Großen Preis”, für “Blue Moon” wurde der irische Schauspieler Andrew Scott für seine Darstellung von Richard Rodgers für die beste Nebenrolle geehrt.

Es waren Lichtblicke am Ende eines Festivals, bei dem es einigermaßen schwerfiel, Enthusiasmus für die Filmauswahl im ersten Jahr der neuen Leiterin, der US-Amerikanerin Tricia Tuttle, zu empfinden. Ihre selbstbewusste Vorgabe, im Wettbewerb Werke zu präsentieren, “die wir für besonders relevant halten”, und deren Macher “ihr Metier in Perfektion” beherrschen sollten, konnte der Wirklichkeit nicht standhalten.

Zwar präsentierten sich einige etablierte Regisseure auf hohem Niveau, etwa der verlässliche Hong Sang-soo mit seiner pointierten Tragikomödie “What Does That Nature Say to You”. Oder der Schweizer Lionel Baier mit seiner stil- und liebevollen Betrachtung einer jüdisch-intellektuellen Familie im turbulenten Pariser Mai 1968 in “La cache”. Dominanter waren jedoch Arbeiten, die interessante Ansätze erzählerisch wie ästhetisch nur halbherzig verfolgten.

Dazu zählt etwa der kaum nachvollziehbar mit dem “Preis der Jury” geehrte argentinische Film “La mensaje” (“Die Botschaft”) von Ivan Fund. Dieser handelt von einem Mädchen, das von seinen Pflegeeltern als angebliches Medium mit der Gabe, Gedanken von Tieren zu übersetzen, durch die Provinz befördert wird. Eine Geschichte voller satirischem Potenzial, das Fund aber wenig nutzt. Zwischen öden Road-Movie-Momenten und überwiegend schwachen Episoden mit Tierbesitzern und ihren Schützlingen hat der Film am Ende nicht allzu viel vorzuweisen.

Auch der Film, den die internationale Jury zum Gewinner des “Goldenen Bären” kürte, kann nur begrenzt Begeisterung wecken. Zwar ist die Auszeichnung für das norwegische Liebes- und Künstlerinnendrama “Drommer” (“Träume”) von Dag Johan Haugerud durch Haynes und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter kein weiteres Desaster, wie es für Tricia Tuttle zu Beginn der Berlinale noch der missglückte Eröffnungsfilm “Das Licht” und die israelfeindlichen Pöbeleien der Ehrenpreisträgerin Tilda Swinton waren. Einen großen Gefallen getan hat die Jury der neuen Leiterin aber auch nicht.

Haugerud hat mit “Drommer” den Abschluss seiner Trilogie “Oslo-Stories” vorgelegt, deren erste, in sich abgeschlossene Teile “Sex” (im Deutschen “Sehnsucht”) und “Kjaerlighet” (“Liebe”) 2024 bei der Berlinale und in Venedig schon viel positiven Zuspruch erhalten hatten. “Drommer”, ein Drama um eine 15-Jährige mit Gefühlen für ihre Lehrerin und dem Willen, diese sowohl real als auch literarisch auszuleben, ist in Norwegen allerdings schon im November des vergangenen Jahres in den Kinos angelaufen. Den verbreiteten Vorbehalt, dass die Berlinale den aktuellen Entwicklungen in der Branche hinterherläuft, wird diese Ehrung jedenfalls nicht verstummen lassen.

Ansprüche und Profil des Festivals sind bereits seit langem nach beinahe jeder Berlinale-Ausgabe ein Streitpunkt, doch 2025 stellt sich die Frage nach dem “Warum” mit so viel Berechtigung wie selten. Warum es nötig war, die erfolgreichen Ansätze von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek als Leitungsduo nicht fortzuführen, sondern auf einen kompletten Neustart mit einer neuen Leiterin zu setzen, hatte sich schon bei der Ernennung von Tricia Tuttle nicht erschlossen.

Ihr Vorgänger Carlo Chatrian hatte bei seinem Einstieg 2020 immerhin Mohammad Rasoulof, Abel Ferrara, Sally Potter, Kelly Reichardt, Rithy Panh und Tsai Ming-liang als international renommierte Regisseure in den Wettbewerb geholt, 18 Jahre vorher war Dieter Kosslick gar mit Hayao Miyazaki, François Ozon, Costa-Gavras, Kim Ki-duk, Otar Iosseliani, Bertrand Tavernier und Wes Anderson gestartet.

Zwar hatten beide Leiter in der Folge auch schwächere Jahrgänge verzeichnet, doch die Möglichkeit, die globale Riege an Filmemachern der Konkurrenz in Cannes und Venedig abspenstig zu machen und auch einmal für Berlin zu interessieren, schien zumindest greifbar. Auch wenn Tricia Tuttle hohe Erwartungen schon weit im Vorfeld gedämpft hatte, lag der Eindruck einer Schmalspur-Berlinale bleischwer über dem Jubiläumsjahrgang.

Immerhin offenbarten sich einige erfrischende Entdeckungen. Etwa die leichte, wie improvisiert wirkende und dabei hochpräzise Komödie “Le rendez-vous de l’été” über eine junge Französin im Trubel der Olympischen Sommerspiele in Paris oder das in feinen Schwarz-weiß-Bildkompositionen angelegte ungarische Familiendrama “Minden rendben” (“Growing Down”).

Doch die Kinosituation in Berlin ist nach wie vor prekär und die finanzielle Lage des Festivals ungeklärt. Deswegen drohen noch mehr magere Jahre und ein weiterer Abstieg in der internationalen Wahrnehmung. Die Baustelle Berlinale ist unter Tricia Tuttle nicht kleiner geworden.