„Zwei Personenschützer begleiteten Herrn Blüm, weil er zu dem Zeitpunkt noch in Amt und Würden war. Er fragte mich, wie ein Tagesablauf bei mir ausschaut“, erinnert sich Jürgen Huß, Inhaber des Buchladens „bu-bu“. Es war Sommer, morgens Hochwasser, daher habe er geantwortet: Ich geh schwimmen. Der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (1935-2020) erwiderte: Ich komm mit! „So trafen wir uns um sechs Uhr dreißig auf der Mittelbrücke, vis-à-vis von der ‘bu-bu’. Der Minister und ich stürzten uns mit einem Kopfsprung ins kühle Nass – und oben standen die Bodyguards zu unserem Schutz.“ Das ist nur der Anfang von Huß’ Anekdoten-Schatz.
1979 übernahm er die Buchhandlung in Wyk auf Föhr, die direkt an der Nordsee liegt. Den Namen „bu-bu“ verdanke sie einem Kunden, der eine farbenfrohe Dekoration bemerkte und sagte, es sei schön bunt in der Buchhandlung – also „bu-bu“.
In 46 Jahren ist sie sein berufliches Lebenswerk geworden. „Als ich anfing, war eine Buchhandlung elitär, manche Gäste kamen mit Gesinde“, sagt er. „Wir stehen heute für den Boulevard und sind die einzige deutsche Buchhandlung mit Meerblick!“ Rund 200.000 Touristinnen und Touristen besuchen Föhr pro Jahr. „Wir stellen unser Angebot persönlich zusammen, dass heißt, ich bin ein Sortimenter“, sagt Huß. 70 Prozent der Bücher, die bei ihm gekauft werden, gehören zur Spannungsliteratur: Kriminalromane, Thriller, Mystery, Spionage, True Crime. „Zu uns kommen die, die ein Buch suchen, nicht das Buch.“ Literatur aus der Region und speziell von Föhr gehört selbstverständlich dazu.
Begegnungen gehören zur Geschichte des 73-Jährigen. Etwa die mit der weltberühmten australischen Schriftstellerin Colleen McCullough (1937-2015), deren Roman „Die Dornenvögel“ über 30 Millionen Mal verkauft und in 20 Sprachen übersetzt wurde. „Es gab eine Adaption für ein Musical, das in Hamburg aufgeführt werden sollte“, erzählt Huß. „Wir besuchten gemeinsam das Café nebenan und ihr Lebenspartner entpuppte sich als ebenso spannend. Er war der Nachfahre von einem Mann, der 1789 zur Crew der Bounty gehörte, die durch die Meuterei berühmt wurde. Er besaß einen Teil der alten Schiffstagebücher und die waren auf Plattdeutsch! Ich konnte mit dem Australier auf Platt schnacken!“
Plattdeutsch ist Huß’ Muttersprache. 1952 in Husum geboren, wuchs er in Almdorf auf. Seine Mutter floh am Ende des Zweiten Weltkriegs aus Danzig, sein Vater war Nordfriese. Nach einer Lehre zum Einzelhandelskaufmann wechselte er unter anderem von Wyk nach Kiel und zur Bundeswehr, verliebte sich, heiratete, blieb mit seiner Frau auf Föhr. Sie haben zwei Töchter.
Huß, der sich selbst als extrem neugierig beschreibt und in der Buchbranche gut vernetzt ist, kann sich hier kreativ und unternehmerisch ausleben. Er verkauft im Hochsommer Weihnachtskarten und „De Plattdüütsche Kalenner“ für das kommende Jahr, „weil das super läuft, im Urlaub haben die Leute ja Zeit“.
Bei Lesungen gehören zu seinen Highlights die mit Politiker Gregor Gysi (Linke) und Bestseller-Autorin Dörte Hansen. Oder aber die mit Janne Mommsen, ein Künstlername von Volkmar Nebe, der ausgebildeter Musiker ist. „Jürgen war einer der Ersten, der mir eine Chance gegeben hat für eine Lesung“, sagt er. „Dann steht da dieser Mann in kurzen Hosen und bunten Hosenträgern. Mittags sagte er, lass uns nebenan einen Eistee trinken.“ Nur ein Codewort für den Cocktail Manhattan, das aber alle kannten, sagt Nebe. „Im Becher.“
Typisch Jürgen Huß: Er ist Buchhändler, Lexikon, Zeitreisender, Tausendsassa, Charmeur und Küstenkind in einem. Nach dem Schwimmen in der Mittagspause läuft er auch mal in Badehose durch den Laden, um unten zu duschen. Männern und Frauen mit Dünkel legt er nahe, den Laden zu verlassen, freundliche Menschen empfängt er mit friesischer Gastfreundschaft: „Aber der Kunde ist hier nicht König, der bin ich.“
Zu seinem individuellen Sortiment gehören die „Sehkarten“. Die Idee kam ihm, weil sich Muschelsammlerinnen und Wattwandernde dafür interessieren, offizielle Seekarten aber sehr teuer seien. Die wiederum studiert Huß, wenn er im Herbst auf einem Containerschiff mitfährt und die Abgeschiedenheit genießt.
Auf Föhr schätzt er aber, dass hier jeder jeden kennt. Er kann sich nicht vorstellen, ohne die frische Luft und die Nordsee zu leben. „Doch ich bin jetzt 73, meine Frau ist krank, vielleicht haben wir noch zehn Jahre, die wir unterwegs sein können.“ Gemeinsam müssen sie auch den Verlust ihrer älteren Tochter ertragen, die mit Mitte 40 an einem Hirntumor starb.