Artikel teilen

Hilfreiche Rebellen

Unbequem, anstrengend, empörend: Wer die gewohnten Bahnen des Glaubens verlässt, gerät leicht in den Ruf, ein Spinner zu sein. Aber die Kirche braucht solche Menschen, um sich zu bewegen

Ein Rebell wird 75: Der katholische Theologe Eugen Drewermann rüttelt bis heute an den Grundfesten des Glaubens. Er zweifelt daran, dass Jungfrauengeburt, Auferstehung und Himmelfahrt tatsächlich stattgefunden haben. Nicht historisch, sondern rein symbolisch will er diese Glaubenssätze verstanden wissen. Bereits 1992 wurde er von seiner Kirche des Priesteramtes enthoben; 2005 trat er schließlich aus der Kirche aus (siehe auch Seite 11).

Drewermann ist ein Querdenker. Einer, der aneckt, übertreibt, häufig unsachlich und einseitig argumentiert – und der sich damit jede Menge Gegner macht. Mit einigen seiner Äußerungen mag er danebenliegen. Aber Menschen, die mit der Forderung „Das musst du einfach glauben“ nichts anfangen können, ermöglicht er neue Zugänge zum Glauben.
So wie er waren viele, die frischen Wind in die Kirche gebracht haben: angefangen bei dem Apos­tel Paulus über Franz von Assisi, Martin Luther, Albert Schweitzer bis hin zu Dorothee Sölle und Hans Küng. Sie alle dachten, was vorher nicht denkbar war, waren auf ungewohnten, zum Teil auch verbotenen Bahnen unterwegs und stießen damit auf zum Teil heftigen Widerstand bei ihren Glaubensgeschwistern. Nicht selten wurden sie sogar von der verfassten Kirche geächtet – und erreichten trotzdem, dass manch erstarrte Tradition in Frage gestellt wurde und alte Glaubenssätze neue Bedeutungen erhielten.
Die Kirche braucht solche Leute – auch wenn sie es sich nicht gern eingesteht. Sie selbst ist eine Institution, der es zunächst einmal darum geht, den Glauben zu bewahren – und nicht, ihn zu verändern. Und tatsächlich ist das Bewahren ja wichtig. Viele Schätze gingen sonst verloren: Worte, Liturgie, Musik, in denen Menschen Jahrhunderte hindurch Ausdruck für ihren Glauben gefunden haben. Kostbare Traditionen, die einen Schutz- und Lebensraum brauchen. Gäbe es die Kirche mit ihren Institutionen, ihren Ritualen, ihren Bewahrern nicht, dann wäre die Welt um vieles ärmer.
Aber wer bewahren will, läuft zugleich Gefahr, zu erstarren. Dann sind Rituale oder Glaubenssätze irgendwann nicht mehr Ausdruck lebendigen Glaubens, sondern Mauern, die das Denken einschränken und spirituelles Leben ersticken.
Gottes Geist aber ist nicht Erstarrung, sondern Bewegung. Menschen, die Neues denken, Neues tun, bringen diesen Geist in die Kirche. Das ist immer unbequem, manchmal empörend, manchmal kaum erträglich. Allzu leicht tun wir solche Leute darum als Spinner und Störenfriede ab – dann müssen wir sie gar nicht weiter beachten.
Aber wir brauchen solche „Spinner“. Sie bringen Einzelne dazu, sich zu bewegen – und Schritt für Schritt bewegt sich dann auch die gesamte Kirche. Das heißt nicht, dass man jedem Trend hinterherlaufen muss und auf jeden Schreihals hören. Der Apostel Paulus hat dafür eine pragmatische Regel aufgestellt: Prüfet alles, und das Gute behaltet. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, Eugen Drewermann!